Nicht auszudenken – Heerscharen von siegestrunken lauten Deutschen in „Kriegsbemalung“ ziehen durch Warschau oder Kiew. Das letzte Großereignis deutscher Siegesfreuden hatten die polnische und ukrainische Hauptstadt im Zweiten Weltkrieg zu ertragen; im Zuge der Eroberung durch Soldaten der faschistischen Wehrmacht. Miesepeterei? Mitnichten. Party-Patriotismus ist Nationalismus, haben Sozialwissenschaftler nachgewiesen.
Nationalstadion Warschau. Foto: Mateusz Włodarczyk
Rufe wie „Sieg! Sieg!“ haben im Wesentlichen die gleiche Triebquelle wie der fatale Ausruf „Sieg Heil!“. Vordergründig ist alles nur Spaß und ungeheuer lustig. Das dachten womöglich auch die brüllenden Massen von 1933. Die grotesk feindselige Reaktion vieler Fußballfans auf den lächelnden TAGESTHEMEN-Moderator deutsch-italienischer Abstammung Ingo Zamperoni nach dem 0:2 gegen Italien zeigen beispielhaft, dass hinter der Spaßfassade sehr wohl der Dämon der Fremdenfeindlichkeit und ethnischen Ausgrenzung lauert.
Urängste vor ethnischer Verfolgung
Dem Party-Patriotismus ist mit dem Sieg der Italiener erst einmal die Luft ausgegangen. Glück gehabt, denn im Falle eines Sieges der deutschen Mannschaft hätte die trunkene Masse genau das deutsche Überlegenheitsgefühl hemmungslos zum Ausdruck gebracht, das im Kollektivbewusstsein unserer Nachbarn als tödliche Bedrohung eingebrannt ist und folglich die Urängste vor ethnischer Verfolgung angefacht hätte.
Patriotisch jubeln machen doch die anderen auch, könnte man entgegnen. Klar. Nur haben zum einen die anderen kein Kollektiv-Karma am Hals wie „wir“ Deutschen. Zum anderen ist deutscher Party-Patriotismus erkennbar durchwoben mit einem subtilen Anspruch auf globaler Überlegenheit. Wenn Italiener oder Polen siegen, wird im Durchschnitts-Fan primär die nationalstaatliche Volksseele angesprochen. Die in einem Wettkampf unterlegene Nation mag von den Siegern gehänselt werden. Doch Gegenstand der Freude ist vorrangig der Stolz auf den erkämpften Sieg, nicht die Häme über den Besiegten.
Ingo Zamperoni bei den Tagesthemen
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Der TV-Sprecher deutsch-italienischer Herkunft löste bei deutschen Fußballpatrioten Reaktionen feindseliger Intolerenz aus, weil er sich auf stilvolle Art und sachlich korrekt über den abzeichnenden Sieg der italienischen Mannschaft lächelnd äußerte. © NDR
Die Deutschen haben ihre nationalstaatliche Volksseele auf sehr lange Zeit – wenn nicht auf ewig – besudelt, als sie dem Wahn eines Hitlers blind folgten, sich mit Begeisterung der Vorstellung Herrenmenschen zu sein hingaben und derart verblendet Leid und Elend abgründigster Art über Europa gebracht haben. Auch in der x-ten Generation nach Auschwitz muss man als Deutscher mit einer subtilen Schuldlast leben. Diese permanente Schuldlast gilt es würdevoll anzunehmen und mit Respekt zum Ausdruck zu bringen. Die Arroganz des mutmaßlich Überlegenen hat dabei – wie generell in einer globalen Welt – keinen Platz.
Sollen Fußballfreunde nun unter der Bettdecke über ihre Mannschaft jubeln? Das Problem ist weniger der patriotische Jubel, als die Glaubwürdigkeit der Massenparty im Fahnenmeer. Amerikaner etwa hissen ihre Fahne zu feierlichen nationalen Anlässen in ihren Vorgärten. In Deutschland käme kein vernünftiger Mensch auf die Idee etwa am Tag der Deutschen Einheit die Außenspiegel seines Autos mit der Staatsflagge zu überziehen. Nationale Feiertage werden vor allem als arbeitsfreie Tage und Gelegenheit für verlängerte Wochenenden gewürdigt. Wieso aber dann plötzlich der National-Pathos, wenn überbezahlte Fußballspieler für ein paar hunderdtausend Euro extra um Tore kämpfen?
Es drängt sich dann eben doch der Verdacht auf, dass es dabei NICHT um die kollektive Freude am Sieg im Wettkampf, nicht um den Stolz auf die eigene Nation geht, sondern um das Ergreifen der Gelegenheit sich endlich einmal wieder der unterdrückten Lust am verkappten Überlegenheitswahn hinzugeben. Erst wenn Deutsche landauf landab etwa an ihrem Einheitstag im schwarz-rot-gold beflaggten Autokorsos fröhlich hupend durch ihre Siedlungen ziehen, wird man ihnen mit der Zeit auch abnehmen, dass der Jubel beim Fußball-Match reiner Patriotismus, nicht feindseliger Nationalismus, ist. Das ist aber bisher nicht abzusehen. HEINZ KNOTEK
Linksunten:
Süddeutsche Zeitung: “Party-Patriotismus ist Nationalismus”
Zuletzt aktualisiert: 07.06.2013 von Heinz Knotek