Wer als Volk einmal diese propagandistische Frage trunken bejaht hat, dann prompt im Untergang gelandet ist und im Abgrund globaler Ächtung und staatlicher Teilung Jahrzehnte schmachten musste, der wird, wird die Suggestivfrage ein zweites Mal serviert (und sei es mit umgekehrtem Vorzeichen), erschrocken zurückzucken, wie jemand, der sich einmal an einer heißen Herdplatte verbrannt hat zuckt, wenn er versehentlich eine nur warme Herdplatte berührt.
Damals entlockte Propagandaminister Goebbels den Deutschen ein frenetisches JA auf die Frage: Wollt ihr den totalen Krieg. Die Merkel-Administration scheint sich des gleichen Prinzips zu bedienen, um das Volk auf unbedingten Gehorsam in Sachen Euro-Krise zu trimmen: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa … das darf nicht passieren!“ Oder im Klartext: Wollt ihr den Untergang Europas? Allerdings wird in dem Fall kein fanatisches JA UND WIR MACHEN MIT, sondern ein ängstliches „um Himmels Willen NEIN, macht ihr mal…“ suggeriert.
Aus der historischen Lektion lernen
Heute weiß man, dass sich der Untergangswahn des Hitler-Regimes, demzufolge der Untergang des deutschen Volkes eine Art „gerechte“ Strafe für ein offensichtliches Versagen beim Versuch sich als Volk über den Rest der Welt zu erheben gesehen wurde, nicht erfüllt hat. Der Untergang wurde vielmehr der Beginn eines historisch beispiellosen Wiederaufstiegs – erst wirtschaftlich, später auch politisch. Hätten „wir uns“ damals aber dennoch besser nicht zum JA für den totalen Krieg verführen lassen. Endlos viel Leid und Zerstörung wäre vermieden worden.
Es liegt nun nahe, aus der historischen Lektion zu lernen und möglichst AUS PRINZIP NIE WIEDER jemandem zuzustimmen, der sich des – ja letzten – argumentativen Mittels, der öffentlichen Suggestion, bedient. Zumal wenn die Suggestion aus dem Mund einer ehemaligen (mutmaßlich überzeugten respektive überzeugenden) Funktionärin des kommunistischen Jugendverbandes der DDR1 stammt2. Das Problem dabei ist: Kein Mensch, der nicht hauptberuflich mit den betriebswirtschaftlichen und finanztechnischen Aspekten der Euro-Krise zu tun hat, ist in der Lage die Argumente der Euro-Befürworter nachzuvollziehen. Wenn etwa der Ressortchef WIRTSCHAFT der Süddeutschen Zeitung, Ulrich Schäfer, in einem ganzseitigen Artikel propagiert: NIE WIEDER D-MARK3, dann kann man die vordergründig plausible Argumentation nur schlucken. Leise Skepsis kommen bestenfalls deswegen auf, weil sich ein professioneller Journalist so ganz und gar einseitig festgelegt hat.
Merkel: Scheitert der Euro, scheitert Europa
Passus findet sich nach 32:10.
Liest man dagegen die Kontra-Argumente seriöser Euro-Gegner, etwa von Hans-Werner Sinn, Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung, dann findet sich auch hier nur vordergründig Plausibles. Leise Sympathie schleicht sich jedoch ein, weil viele Argumente, etwa zu unwiderlegbaren Preissteigerungen oder zur verschleierten Armut, in der eigenen Lebenswirklichkeit konkret nachvollzogen werden können. UND weil der Autor nicht im Verdacht steht auf die eine oder andere Weise persönlich mit dem etablierten Machtgefüge verbunden zu sein. Wie aber nun entscheiden, was richtig und falsch ist?
Die suggestive Angstmacherei der Merkel-Administration und des Mainstream-Wirtschaftsjournalismus sollte beim selbstbewussten Bürger und überzeugten Demokraten Skepsis und Distanz wachrufen. Man muss sich klar machen, dass die Euro-Befürworter letztlich die politisch Verantwortlichen nicht nur für die Euro-Einführung sind, sondern auch für die teilweise regelwidrige Aufnahme von Staaten mit einer für den Euro-Raum völlig ungeeigneten Wirtschaftsordnung, ein wesentlicher Aspekt der Euro-Krise. Hier ging und geht es um Posten, Geld und Reputation, also um sehr Persönliches. Außerdem gilt unverändert das Naturgesetz: Nichts vom Menschen Geschaffenes hält ewig. Auch der Euro nicht. Den Euro als „heilige Kuh“ der politischen und wirtschaftlichen Ordnung Europas zu stilisieren ist unheilige Praxis.
Da wir den Euro aber nun einmal haben, wäre es jedoch in der Tat töricht, ohne große Not das ungeliebte Zahlungsmittel abzuschütteln und sich damit den unkalkulierbaren Risiken einer erneuten Währungsreform auszusetzen. „Den Bürgern ginge es schlechter, wenn sie wieder ihr eigenes Geld hätten,“ suggeriert etwa Ulrich Schäfer4 und vertritt damit die Suggestionslinie der Merkel-Administration. Doch woher weiß Schäfer das so unfehlbar genau? Mag sein, dass es den Deutschen eine Zeit lang „schlechter gehen“ würde – was immer das heißen mag. Aber vielleicht ginge es ihnen dann langfristig besser? Und wenn sich Politiker und Journalisten so selbstsicher als Orakel gerieren, warum bloß hat die um jeden Zweifel erhabene Hellsichtigkeit im Vorfeld der Euro-Krise so kläglich versagt?
Verantwortungsbewusstes frühzeitiges Umkehren
Sollte sich der Euro als Sackgasse erweisen, ist ein verantwortungsbewusstes frühzeitiges Umkehren einem blind-eingeschworenen Durchhalten – um jeden Preis und bis zum bitteren Ende – vorzuziehen. Das grundsätzliche Ausschließen dieser Option mutet unverantwortlich an. Aus einem gescheiterten Euro plakativ ein Scheitern Europas abzuleiten ist einer demokatischen Regierung unwürdige Propaganda-Rhetorik im Stile autoritärer Staatsformen. Ein Scheitern des Euro wäre trotz aller zu erwartenden Turbulenzen eine Chance, sich endlich weniger um Rettungsschirme und Bankenrettungen kümmern zu müssen, dafür mehr um soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, kulturelle Vielfalt, Demokratie und Völkerverständigung, also den eigentlichen Geist Europas. HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 05.06.2016 von Heinz Knotek