Über Yoga Aphorisms of Patanjali – Sure I.19
Meditieren gilt allgemein als effektive Psycho-Hygiene. Meditieren entspannt. Wer meditiert ist im Job leistungsfähiger und bleibt im Konfliktfall länger ruhig. Zur regelmäßigen Meditationspraxis gibt es ein breites Anbieter-Spektrum, etwa Yoga-Kurse in Volkshochschulen, zen-buddhistische Gruppen und Kampfkunstvereine.
Hinzu kommen zahllose Seminarangebote, die sich mehr oder weniger um die Meditationspraxis drehen. Dem Meditieren umweht eine Aura des Spirituellen – ein großer Irrtum, wie die Yoga-Aphorismen des Patanjali lehren. MEDITATION ist nichts als wertfreie TECHNIK. Man könnte sich beim Meditieren auch auf einen Papierkorb konzentrieren – und die gleichen positiven Effekte erzielen. Spirituelles Meditieren geht ganz anders.
Yoga Aphorisms of Patanjali – Sure I.19
The meditative state attained by those whose discrimination does not extend to pure spirit, depends upon the phenomenal world1.
Wer sein Unterscheidungsvermögen nicht auf den einen reinen GEIST zu erweitern vermag, dessen Meditationszustände hängen von der Welt der Phänomene ab2.
Es ist wirklich viel gewonnen, wenn wir in der Hitze der Betriebsamkeit unseres Alltags im wörtlichen Sinne „cool“ bleiben. Noch dazu, wenn wir daran bewusst arbeiten, etwa in dem wir auf eine Wand starren, einem Wildbach lauschen oder – ja auch das – uns auf einen Papierkorb konzentrieren. Entscheidend ist: KONZENTRIEREN. Wand, Wasserlauf und Papierkorb sind Objekte. Auf was immer man sich nachhaltig konzentriert, es kommt der Punkt, wo sich die Wahrnehmung des Objektes in der Konzentration spürbar auflöst. Alles bewusste und unbewusste Differenzieren, Analysieren, Bewerten kommt dann zum Ende. Man ist scheinbar mental mit dem Objekt verschmolzen. Doch zugleich ist das Objekt – das ja nur die Folge der Modifikation unseres Denkprinzips (mind) ist – selbst verschwunden.
Man mag einwenden, dass sich das finale Zurückfahren der Modifikationen des Denkprinzips leichter bewerkstelligen lässt, wenn man auf eine Wand statt auf einen Papierkorb starrt. Möglich. Nur kommt man beim Anstarren eines Papierkorbes – anders als beim Meditieren vor leeren Wänden – nicht so leicht in die Versuchung, sein Tun als spirituell zu interpretieren.
Patanjali liefert mit seinem Vers auch einen Hinweis zu Möglichkeiten und Grenzen der in zen-buddhistischen Gruppen traditionell praktizierten Kôan-Praxis. Zen-Sprüche, wie „das Klatschen der einen Hand“, dienen vor allem dem „Abschneiden“ der von logischer Schlussfolgerung dominierten Gedanken- und Gefühlsströme. Das Denkprinzip hält einhändiges Klatschen LOGISCH für Unfug – beginnt sich in immer kleineren Kreisen darum zu drehen – bis zum punktuellen Stillstand. Also ein echter Papierkorbeffekt. Wer sich voll Pathos zum Meditieren begibt, sich aber dann plötzlich auf einen Papierkorb konzentrieren soll, wird ebenfalls mentale Auflehnung erleben. Und siehe da, schon ist das Denken „abgeschnitten“. Bleibt man nun nur lange genug auf den Papierkorb konzentriert, kommt das Modifizieren ebenfalls zum Ende.
Ende. Denn eigentlich geht Meditieren, als SPIRITUELLE Praxis, jetzt erst los. Buddhistische Kôans sind daher zumeist in unterhaltsam moralisierende Geschichten eingebunden. Hat uns das „Klatschen einer Hand“ wenigstens temporär vom Gedankenkreisen erlöst, sind wir JETZT und wirklich erst jetzt OFFEN für die eigentliche „Botschaft“ des Buddhismus, etwa das Mitgefühl für alle fühlenden Wesen, wobei dann selbst Steine auf eine subtile Weise plötzlich als etwas WESENHAFTES erfahren werden können. Einmal mental geöffnet, ergeben sich ganz neue Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung. Das schiere Studium der Weisheitslehren kann jetzt transformierend werden. Vorausgesetzt man tut es. HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 17.04.2014 von Heinz Knotek