Wenn Menschen anderer Kulturen gewaltsam gegen unsere „Ordnung“ vorgehen, dann nennen wir sie Terroristen und verfolgen sie vehement, zu recht und zumindest in Westeuropa nach geltendem Menschenrecht. Geschieht aber das Gleiche in uns wesenhaft fremden Kulturen, dann bejubeln wir gewaltsame Angriffe auf Institutionen von Staaten als „Frühling“, stilisieren den marodierenden Mob zu „Rebellen“ und statten Räuberbanden unter Verletzung des Völkerrechts mit Waffen, Infrastruktur und moralischer Unterstützung aus.
Allerdings nicht immer. In Mali zum Beispiel, da bekämpfen wir das, was wir etwa in Syrien „Rebellen“ nennen, als Terroristen. Dort heißt dann der arabische Frühling auch nicht mehr Frühling, sondern tödliche Bedrohung der Bevölkerung.
„Frühling“? Fundamentaler Irrtum!
Wenn im arabischen Raum vorwiegend junge Männer empört auf die Straße gehen, nach Demokratie rufen und herrschende Autokraten stürzen, dann hat das vor allem wirtschaftliche Gründe. Arbeitslos, oft ohne Ausbildung, Leben in prekären Verhältnissen – das prägt die Lebenswirklichkeit dieser Menschen. Zugleich nehmen sie über die elektronischen Medien des westlichen Kulturkreises eine prosperierende Hochglanzwelt wahr: Jeder hat ein Auto, man steht nicht nach einem Tagelöhnerjob an, sondern nach Tablet-Computern. Alle sehen ewig jung und schick aus. Und Drogen gibt es außerdem, und sei es in Form von Alkohol. Und über allem steht der Begriff DEMOKRATIE. Demokratie muss also etwas sein, mit dem sich die eigene Lebensmisere in solche mutmaßlich paradisische Verhältnisse verwandeln lässt. Also geht man auf Straßen und Plätze, ruft nach Demokratie und jagt die überrumpelten Herrscher aus ihren Palästen – oder tötet sie kurzerhand.
Im Westen bricht nun publizistischer Jubel aus. ARABISCHER FRÜHLING nennt man den Tumult, der zum Zusammenbruch staatlicher Strukturen führt, bald erste Todesopfer fordert und in bürgerkriegsähnliche Zustände mündet. Die in Westmedien zunächst als coole Helden gefeierten „Rebellen“, die sich über den US-Online-Dienst Twitter zum Aufruhr verabreden, merken aber bald: SIE HABEN SICH FUNDAMENTAL GEIRRT. Mitnichten erweist sich der Schlachtruf nach DEMOKRATIE als magische Formel, die Arbeitsplätze, Einkommen und stabile Lebensumstände herbeizaubert. Im Gegenteil, das Wenige an Sicherheit und Versorgung, das die traditionell clanorientierte Gesellschaft bisher geboten hat, bricht jetzt auch noch weg.
Syrien
Besondere geostrategische Lage
Wahlen, erstes Merkmal einer Demokratie, spülen jetzt entweder einen neuen gewalttätigen Patriarchen oder religiöse Fundamentalisten in die oberste Regierungsgewalt oder das Land zerbröselt in ein vorkoloniales System sich gegenseitig bekriegender Clans. In jedem Fall erweist sich der Ruf nach Demokratie für die Bevölkerung als fataler Irrweg. Der so genannte arabische Frühling bringt den Menschen eher einen tödlichen Winter aus Zensur, Willkürherrschaft, Unterdrückung von Frauen und Minderheiten, religiösem Fanatismus – kurz ein Leben im politischen und wirtschaftlichen Vakuum.
Zu guter Letzt werden alle Beteiligten zum Spielball machtpolitischer Interessen. Da versorgt etwa Deutschland den einen arabischen Despoten mit modernen Kampfpanzern und stilisiert einen anderen, selbst wenn er – wie in Syrien Baschar al-Assad – als einziger Machthaber in der Region ein nachhaltig friedliches Nebeneinander von Arabern und Christen bewerkstelligt, zur Ausgeburt des Bösen. In diesen komplizierten innenpolitischen Prozessen wäre STRIKTE NEUTRALITÄT das einzig richtige Mittel der Wahl. Das Bezahlen, Ausbilden, Ausrüsten und mediale Unterstützen bewaffneter Gruppen, die illegal gewaltsam in ein souveränes Staatsgebiet eindringen und dort „im Namen der Demokratie“ töten, ist ein Hohn auf die Demokratie und schlicht eine Verstoß gegen geltendes internationales Recht.
Fast enttäuscht und nur zögerlich nehmen Mainstream-Medien in ihrem Elfenbeinturm zur Kenntnis, dass der Traum von demokratischen Rebellen eine Illusion ist. Die so genannten Rebellen mögen zwar auf Wunsch der Journalisten viel über Demokratie und Freiheit in die Kameras schreien. Doch die meisten von ihnen sind erkennbar kaum mehr als vom Ausland unterhaltene Banden oder eben religiöse Fanatiker, die die selben Journalisten wenige hundert Meilen entfernt als Terroristen und ihre Tötung als Erfolg der Terrorbekämpfung beschreiben würden. Inzwischen können aber in großen deutschen Tageszeitungen auch andere Stimmen zu Wort kommen, etwa die einer in einem jordanischen Flüchtlingslager gestrandeten Frau:
Ein dritter Weltkrieg werde in Syrien ausgetragen … befeuert von fremden Mächten auf dem Rücken ihres unglücklichen Volkes. (Süddeutsche Zeitung, 3. Mai 2013, Artikel: Lager der Hilflosigkeit, S. 8)
Zufall oder nicht: In Syrien wenden sich immer mehr Teile der Bevölkerung gegen die bewaffneten Banden. Die Armee des Landes kann Städte wieder unter staatliche Kontrolle bringen. Plötzlich tauchen „glaubhafte“ Chemiewaffengerüchte in den Medien und fremde Kampfjets über Damaskus auf. HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 26.07.2014 von Heinz Knotek