Die Bilder und Eindrücke in diesem Bericht entstanden (bis auf wenige Ausnahmen) im Mai/ Juni 2024 auf El Hierro, der kleinsten der Kanarischen Inseln. Alles fußt auf eigenen subjektiven Beobachtungen. Ich weiß, dass all das bekannt ist und gefühlt schon 1’000mal dokumentiert wurde, zumindest von echt investigativen Medien, wie der JUNGEN FREIHEIT. Aber mir gingen die Bilder von El Hierro einfach noch sehr lange in Kopf und Seele herum. Das aufzuschreiben und rauszuschicken ist meine Art der Verarbeitung und hat mein „politisches Herz“ erleichtert.
El Hierro: läuft wie geschmiert, auch ohne NGOler
Um Mord, wie in der arte-Miniserie, geht es in diesem Erlebnisbericht nicht. Aber als spannender Krimi könnte er dennoch durchgehen. Die Kanaren sind schon länger Ziel afrikanischer Migranten. Für Fuerteventura und Teneriffa ist das allgemein bekannt, aber nicht für El Hierro. Das änderte sich im letzten Jahr: Gleich 14’500 illegale Migranten kamen 2023 an. Bei gerade mal 11’000 Einwohnern. Für 2024 rechnet man mit 70’000 Bootsmigranten. Die Route nach El Hierro ist der Versuch, den strenger werdenden Grenzschutz zu umgehen. Spanien kooperiert nämlich zum Schutz seiner Seegrenzen immer enger mit westafrikanischen Staaten. Jeder, der in afrikanischen Hoheitsgewässern erwischt wird, muss zurück. Es sind vor allem Malier, Senegalesen und Marokkaner. Sie starten von der senegalesischen Küste oder Mauretanien. Ihr Ziel auf El Hierro ist immer der Kai des winzigen Hafenstädtchens La Restinga. Der südlichste Punkt Spaniens.
Anflug auf die Kanaren (li.), Blick auf Valverde (r.), Hauptstadt von El Hierro. Abbildungen: privat
Die Kanaren sind schon länger Ziel afrikan. #Migranten. Fuerteventura u Teneriffa ja, aber nicht El Hierro. Das änderte sich im letzten Jahr: Gleich 14.500 illegale Migranten kamen 2023 an. Bei gerade mal 11.000 Einwohnern. Für 2024 rechnet man mit 70.000 Bootsmigranten. (2) pic.twitter.com/LlrR5jkfTN
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In La Restinga hört man jetzt Nachmittag für Nachmittag, wie ein Hubschrauber der Küstenwache zum Patrouillenflug abhebt. Wird er dabei fündig, verlässt am frühen Abend das rote Schiff der Seenotrettung (Maritimo Salvamento) den Hafen. Derweil erwacht am Kai erhöhte Betriebsamakeit: Krankenwagen, Rote-Kreuz-Mitarbeiter, ein NGOler und Männer in hellen Schutzanzügen kommen. Man zieht sich die Helferwesten an und ist in den Zelten zugange. Ankunftsvorbereitungen. Die klassischen „Flüchtlingshelfer“ halten sich in La Restinga eher im Hintergrund. Es sind augenscheinlich auch nur wenige vor Ort und sie sind ja auch gar nicht mehr notwendig. Das Ding läuft wie geschmiert, auch ohne NGOler.
Nachmittag für Nachmittag… Videos: privat
In La Restinga hörst du jetzt also Nachmittag für Nachmittag, wie ein Hubschrauber der Küstenwache abhebt. Wird er fündig, verlässt am frühen Abend das rote Schiff der #Seenotrettung (Maritimo Salvamento) den Hafen. (6) pic.twitter.com/v6d6r97Jdx
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Derweil erwacht am Kai jetzt Leben: Krankenwagen, Rotes Kreuz-Mitarbeiter, ein NGOler u Männer in hellen Schutzanzügen kommen. Man zieht sich die Helferwesten an u ist in den Zelten zugange. Ankunftsvorbereitungen. (7) pic.twitter.com/cLMQuTr2Xx
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Etwa eine Stunde später kommen sie dann: Das Schiff der Seenotrettung zieht ein Boot mit afrikanischen Migranten hinter sich in den Hafen. Am Kai angekommen, stürmt aber niemand an Land. Nein, die Männer bleiben ganz ruhig sitzen. Man hilft ihnen, nacheinander aus dem Boot und bringt sie hübsch geordnet in die Zelte und Container des Roten Kreuzes (Cruz Roja). Was mich wirklich überrascht hat, war die Gelassenheit, die am Kai herrschte und wie routiniert und selbstverständlich alles vonstatten ging: leise, ohne irgendeine Hektik und ohne sichtbare Aufregung. Bei Migranten und Helfern. Die Passagiere – alles Männer – sind augenscheinlich wohl auf, niemand schreit, weint oder kollabiert, wie es so oft zu lesen ist. Medien berichten bei den sogenannten „Bootsflüchtlingen von El Hierro“ ja gern von dramatischen Szenen, geretteten Babys, Schwangeren und Toten.
Während die Migranten in den Zelten versorgt und eingekleidet werden, untersuchen Männer in Schutzanzügen das Boot und ziehen es dann weg. Nach etwa einer Stunde kommt ein Bus der örtlichen Verkehrsgesellschaft „Transhierro“ und bringt die Migranten direkt vom Kai aus in ein bewachtes Aufnahmelager im Inselinneren. Alle Anlandungen, die ich in einer Woche gesehen habe, waren wie diese: das Boot ist mäßig besetzt, nur mit Männern die alle wohl auf. Sie steigen aus, verschwinden in Zelten, kommen neu ausgestattet wieder raus und ein Bus bringt sie weg. Der Krankenwagen fährt leer davon. Die Boote werden noch in der selben Nacht vom Kai weggezogen, mit Nummern markiert und auf einen nahe gelegenen kleinen Schiffsfriedhof verbracht. In den nächsten Tagen werden die Boote zerstört und der Schrott wird abtransportiert.
Beweismittel? In den nächsten Tagen werden die Boote zerstört. Videos: privat
Die Boote werden noch in der selben Nacht vom Kai weggezogen, mit Nummern markiert u auf einen kleinen Schiffsfriedhof verbracht. (20) pic.twitter.com/zN8LGyBhzt
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In den nächsten Tagen werden die Boote zerstört u der Schrott wird abtransportiert. (21) pic.twitter.com/YeGOb8QFLF
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Von der Küste Senegals bis El Hierro sind es 400 Kilometer. Die Ankömmlinge, die da so lässig aus den Booten stiegen, wollen in diesen völlig hochseeuntauglichen Booten sieben Tage auf dem Atlantik unterwegs gewesen sein? Zur Zeit der Beobachtung war zudem der Seegang enorm. Nein, das glaube ich nicht. Die Inselbewohner (Herreños) merken von den Männern faktisch nichts, sie bekommen nur minderjährige Migranten zu Gesicht. Die müssen nämlich nach EU-Vorschrift hier Asyl beantragen und werden in Unterkünften auf der ganzen Insel verteilt. Etwa 600 sollen es zur Zeit sein. Inzwischen formiert sich bei den Inselbewohnern erster Widerstand: „Es werden einfach zu viele“, sagte mir ein Hotelier knapp. Die Zurückhaltung bei diesem Thema ist spürbar groß. Kaum einer will offen über die migrantischen Jugendlichen sprechen.
Kaum einer will offen über die migrantischen Jugendlichen sprechen. Vidoes: privat
Die Inselbewohner (Herreños) merken von den Männern faktisch nichts, sie bekommen nur minderjährige Migranten zu Gesicht. Die müssen nämlich nach EU-Vorschrift hier Asyl beantragen u werden in Unterkünften auf der ganzen Insel verteilt. Etwa 600 sollen es zur Zeit sein. (23) pic.twitter.com/osUkCWU7AU
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Inzwischen formiert sich bei den Inselbewohnern erster Widerstand: „Es werden einfach zu viele“, sagte mir ein Hotelier knapp. Die Zurückhaltung bei diesem Thema ist spürbar groß. Kaum einer will offen über die migrant. Jugendlichen sprechen. (24) pic.twitter.com/Npl526M8GA
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Die Erwachsenen dagegen dürfen maximal 72 Stunden auf der Insel bleiben. Die verbringen sie abgeschottet in einem Lager. Danach geht es per Fähre nach Teneriffa und weiter aufs Festland. Etwa 270 Migranten verlassen so täglich die Insel. Bloß weg von El Hierro dachte ich, das war’ es jetzt hier mit dem Thema ‚Migranten’. Aber am letzten Tag der Reise, kurz vor dem Rückflug, am Flughafen von Gran Canaria, waren sie plötzlich wieder da! Und die Karawane aus jungen Männern, viele noch in ihren nagelneuen Sneakern, wollte einfach kein Ende nehmen. Volle fünf Minuten stand ich dauerte der Vorbeimarsch in der Flughafenhalle.
Karawane aus jungen Männern, viele noch in ihren blitzsauberen Sneakern. Videos: privat
Weg von El Hierro dachte ich, das war’s jetzt hier mit dem Thema ‚Migranten’, aber am letzten Tag der Reise, kurz vor Rückflug, am Flughafen von Gran Canaria, da waren sie plötzlich wieder! (26) pic.twitter.com/eqoh0ZtrD8
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Und die Karawane aus jungen Männern, viele noch in ihren blitzsauberen Sneakern, wollte einfach kein Ende nehmen. Volle 5 Minuten stand ich da in der Flughafenhalle. (27) pic.twitter.com/FYTrrJDUsg
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Nichts davon geschieht im Geheimen. Bis auf das Lager auf El Hierro kann man alles ungehindert beobachten. Filmen wird allerdings nicht gern gesehen. Die Helfer geben dir ziemlich bald und recht ruppig zu Verstehen: „Geh weg und lass das Filmen!“ Auf El Hierro und auch am Flughafen. Bleibt die Frage: wer bezahlt das alles? Na, wir natürlich. Ist alles organisiert von der EU und wird bezahlt mit unseren EU-Beiträgen. Es steht groß und deutlich an der Zeltwand. DIMETRA
Zuletzt aktualisiert: 09.07.2024 von Heinz Knotek