Wer B nicht hören möchte darf nicht mit A-Sagen beginnen
„Pott hässlich“ – so die Headline der Süddeutschen Zeitung Mitte April 2015, die damit in einem Bericht auf die Dortmunder anspielt, die sich nach Meinung von Autor Bernd Dörries zu wenig gegen die Aktionen von Neonazis in ihrer Stadt engagieren. „Zonen der Angst“ gäbe es doch bislang nur im fernen deutschen Osten, in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern, nicht aber im eher linken NRW. Und nicht nur das. Seit Mai 2014 haben die rechtsextremen Parteien NPD und DIE RECHTE sogar je einen Sitz im Stadtrat. Die Dortmunder für diese Situation publizistisch anzuprangern ohne tiefer nach Ursachen zu graben ist ein weiteres Lehrstück an Tendenz-Journalismus.
Grobe Geschichtsklitterung, die der Leugnung
des Holocaust gleichgesetzt werden kann
Wenn an einer deutschen Schule ein Schüler auch nur ansatzweise mit nationalsozialistischen Symbolen aktiv wird, und sei es, indem er in sein Heft ein Hakenkreuz schmiert lediglich um ihn nervende Lehrer zu provozieren, dann zieht er damit das volle Programm der Strafverfolgung auf sich herab. Lehrer sind dann mehr oder weniger verpflichtet, gegen den Jugendlichen Anzeige zu erstatten. Wenn sich im Hinterzimmer einer Kneipe wenige seltsame Gestalten zusammenfinden, um aufgeregt den Massenmord Nazideutschlands an den Juden in Frage zu stellen, dann tauchen gleich mehrere Polizeibeamte auf, um jedes Wort akribisch abzuwägen und bei „Gefahr in Verzug“ die Stammtischrunde aufzulösen1.
Doch seltsam: Zu bester Sendezeit darf der im Zuge eines gewaltsamen Putsches ins Amt gehievten Ministerpräsidenten der Ukraine, Arseni Jazenjuk, im Interview mit einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen unwidersprochen grobe Geschichtsklitterung, die der Leugnung des Holocaust gleichgesetzt werden kann, betreiben. Demnach hat im Zweiten Weltkrieg nicht das Deutsche Reich unter Adolf Hitler die Sowjetunion angegriffen, sondern die Sowjets hätten eine Invasion mit dem Ziel Deutschland gestartet2.
Da wird also der jugendliche Provokateur wegen unüberlegten Dummenjungenstreiches zum Kriminellen gemacht und skurrile Holocaust-Leugner beim Bier vermögen Polizeieinsatzkräfte zu binden. Das mag überzogen anmuten aber angesichts deutscher Vergangenheit doch gerecht sein, ebenso wie man auf dem ersten Blick Bernd Dörries zustimmen mag, dass die Dortmunder dem Ungeist der Neonazis eigentlich mehr die Stirn bieten könnten.
Skandalöses „Nazi-Outing“ von Jazenjuk
Dann aber hätte auch und zu allererst die Reporterin der ARD-Tagesthemen in jenem Interview am 7. Januar 2015 den mit faschistoiden Gruppierungen paktierenden Politiker empört und ostentativ in die Schranken weisen müssen, anstatt wie ein begossener „Embedded-Pudel“ dessen Nazisprech stumm durchzulassen. Und noch viel mehr hätte sich danach die Merkeladministration mit ihrem sich doch auch sonst mit „klaren Worte“ gefallenden Bundespräsidenten von dieser rechtsradikale Geschichtsfälschung distanzieren müssen. Statt dessen wird das skandalöse „Nazi-Outing“ von Jazenjuk erst totgeschwiegen und als das nicht funktioniert, als „Auslegung“ kleingeredet.
Wer B nicht hören möchte darf nicht mit A-Sagen beginnen. Es sind wohl weniger einzelne Gruppierungen von Neonazis für den „pott-hässlichen“ Geist verantwortlich, der sich in Dortmund und anderswo verbreiten kann, sondern eine von Kriegshetze und Völkerhass impulsierte Großmachtpolitik, die militärische Einheiten in der Ukraine mit Nazisymbolen am Stahlhelm als rechtmäßige Exekutive eines ansonsten freiheitlich-demokratischen Systems maskiert und ein faschistoides Regimes mit hunderten Millionen Euro hätschelt. Besser daher, der Reporter der Süddeutschen Zeitung hätte das „Pott-Hässliche“ in Berlin recherchiert. HEINZ KNOTEK
- so neulich dokumentiert in einer Magazinsendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ↩
- Ukraine-Konflikt: Deutsche Bundesregierung findet Jazenjuks Hitler-Verteidigung in Ordnung ↩
Zuletzt aktualisiert: 25.04.2015 von Heinz Knotek