Verblendung, Täuschung, Indoktrination
Rückblickend – wie naiv waren wir, die in den 1980er und 90er Jahren 1984 von George Orwell lasen und darüber debattierten. Zweifel kamen auf, ob die schaurige Zukunftsvision nicht doch nur krude Science-Fiction sei. Das gleißende Licht, das die Implosion des staatssozialistischen Weltlagers verbreitete, blendete uns. In der Hitze der materiellen Transformation um einen herum entging uns die zerstörerische Kälte und das Strohfeuerhafte dieses Lichtes. Wir konnten noch nicht wissen, dass der Ost-West-Konflikt ein Segen war, denn dessen sich ausgleichende Gegenkräfte vermochten die Box der Pandora 40 Jahre verschlossen zu halten. Das „gegen“ war nun weg. Die Box sprang auf.
George Orwell: 2017 minus 1933 = (19)84?
2017 könnte als das Jahr von George Orwell in die Geschichte eingehen. Oder als das Jahr, in dem die Europäer unter der fatalen Führung einer sich selbst ermächtigenden deutschen Regierung, wie Frösche in einem Topf mit langsam heißer werdendem Wasser sitzend, nach außen langen und den Herd eigenhändig weiter hochdrehen. Das Ende ist bekannt und unabwendbar. Einige Frösche werden erst, wenn um sie herum die ersten Artgenossen im siedenden Wasser platzen, mit Entsetzen erkennen, was sie mit angerichtet haben. Viele Seelen werden für sie völlig unerwartet aus ihren Körpern in dumpfe Benommenheit geschleudert werden. Man muss sich nur die grausamen Leidensgeschichten der vielen Toten angucken, die von „verwirrten Einzeltätern“ abgeschlachtet oder verstümmelt wurden. Eben noch scheinbar unerschöpfliches irdisches Licht, dann plötzlich höllisches Dunkel, gnadenlose Vernichtung, sinnloses Sterben. Das Licht des westlichen Kulturkreises hat sich für sie als tödliches Irrlicht erwiesen. Wie traumatisierend muss es für eine Seele sein, deren Persönlichkeit sich gerade noch für mutmaßlich Hifebedürftige aufgeopfert hat, um dann nachts von einem solchen Hifebedürftigen wie ein lästiges Insekt erst erniedrigt und missbbraucht, dann zertreten zu werden.
Karma-Zweifler lächeln gern spöttisch, wenn sie von „Hütern des Karmas“ hören. Letztere gibt es für sie so wenig wie einen gerechten oder zornigen Gott. Alles Evolution. Alles Zufall. Gestern noch Affe. Warum dann nicht morgen den Frosch im heißen Wassertopf geben? Niemand fällt „karmische Urteile“. Es ist immer der Mensch selbst, der erntet, was er sät. Weder ein leicht zu instrumentalisierender religiöser Kult noch eine seelenkalte Wachsfigur als dunkler Demiurg einer Scheindemokratie sind schuld. Schuld sind WIR SELBST. Jahrzente lang haben wir die schleichende Erosion der Zivilgesellschaft zugelassen. Selbstverliebt haben wir schrillen identitätsgetörten Selbstdarstellern, anstatt sie in die Schranken zu weisen, unsere Ohren geliehen und unsere Herzen geöffnet. Wir gefielen uns in unserem Großmut, wenn wir tolerierten, was man hätte selbstbewusst ablehnen sollen. Stets übersatt, künstlich angestachelt zum Dauergeilsein auf Konsum, mental benebelt von einer Flut aus Bildern und Tönen, haben wir alles aber auch alles klaglos zugelassen, was wir nicht hätten zulassen dürfen. 2017 minus 1933 = (19)84? Haben wir nichts aus der Geschichte gelernt? Wer nie verstehen konnte, wieso im heißen Sommer 1939, so kurz vor Ausbruch des großen Sterbens im Zweiten Weltkrieg, von Flensburg bis Königsberg die Menschen arglos die Strände bevölkern konnten… der hat gerade die Chance seines Lebens es zu verstehen. HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 16.06.2017 von Heinz Knotek