Als für solche Ideen keine standrechtliche Erschießung wegen Hochverrat mehr drohte, äußerten in den letzte Wochen und Tagen des Zweiten Weltkrieges auch hohe Nazifunktionäre offen ihr Interesse an einem einseitigen Friedensvertrag mit den westlichen Alliierten, um anschließend gemeinsam dem in Gestalt der Roten Armee anrückenden Bolschewismus den Garaus machen zu können. Daraus wurde bekanntlich nichts. Obwohl schon kurz nach Kriegsende Churchill gesagt haben soll, „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet“, womit er auf den ehemaligen Erzfeind Nazideutschland und die Sowjetunion anpspielte. Wird 70 Jahre nach Kriegsende der Traum der Nazis doch noch wahr, Russland als „schlachtreifes Schwein“ zur Jagd freizugeben? Mit Deutschland als obersten Jagdgehilfen an der Seite des selbst ernannten Weltführers und dessen Alliierten?
Autochthoner Staat statt Weltrevolution
Die alten Nazis sind lange tot. Das von den Machteliten des westlichen Kulturkreises gefürchtete und gehasste „bolschewistische Schwein“ wäre auch beinahe im brüchigen Stall – schon halb verhungert an seinem Erbrochenem – unverdauliche Hamburger aus Manchester-Ökonomie mit demokratischer Soße, die man ihm zuvor in großen Dosen ins Maul gestopft hat – erstickt. Doch dann hat die Sau tatsächlich überlebt, ihr Fressverhalten geändert, ist nach einer konsequenten Reha tatsächlich genesen. Soweit die geschmacklose Metapher des ehemaligen britischen Premierministers. Die ja auch nicht wirklich mehr passt. Denn anders als die untergegangene Sowjetunion repräsentiert Russland keine religionsähnliche Ideologie einer „Weltrevolution“, sondern „nur“ sich selbst – einen völkerrechtlich anerkannten souveränen – autochthonen – Staat. Doch genau das fürchten alle die, die den „russischen Bären“ gern „zur geschlachteten Sau“ gemacht hätten, allen voran die transatlantischen Strategen, Finanzinvestoren und Miltärs, wie der sprichwörtliche Teufel der Christen das Weihwasser. Doch warum eigentlich?
Russia National Anthem – alles nur Propaganda? Das hätten die transatlantischen Propagandisten in den Schreibstuben der Print-und Onlineredaktionen gern.
Seit Putin damit begonnen hat, aus der Asche der Selbstauslöschung der russischen Förderation Schritt für Schritt eine von slawischer Mentalität und multikultureller Offenheit geprägte Zivilgesellschaft zu etablieren – gegen die Profitgier der herrschenden Oligarchie und auch gegen die Kehrseite slawischer Mentalität, etwa Schlendrian, Obrigkeitshörigkeit, Bestechlichkeit und Trunksucht – hat er immer und immer wieder beteuert, dass Russland keinerlei feindselige Absichten gegenüber seinen Nachbarn hegt.
Der Geist des Verteidigungs- und Befreiungskampfes gegen den Aggressor Nazideutschland kam aus dem Innersten der russischen Volksseele
Nicht nur mangelt es Russland an Ressourcen für kostenintensive Kriegszüge. Nach all dem endlosen abgründigen Leid der letzten fast 100 Jahre,
- erst im brachialen Sozialismusexperiment der Kommunisten,
- dann im Großen Vaterländischen Krieg gegen Nazideutschland,
- dann im Absturz ins Hoffnungslose nach dem Ende der Sowjetunion und dem Ausverkauf des Landes,
sehnen sich die Menschen nach dem „ganz normalem Leben“ des „kleinen Mannes auf der Straße.“ Wer ihnen das ermöglicht, den wählen sie und dem folgen sie auch mehrheitlich. Wer aber versucht, ihnen von außen den kleinen Luxus eines normalen bürgerlichen Lebens wieder wegzunehmen, der wird in diesen „Kleinbürgerrussen“ den hingebungsvollen Patrioten, der bis zur Selbstopferung für sein Land kämpft, erwecken. Der Große Vaterländische Krieg war zwar eine Wortschöpfung von Diktator Stalin, doch der Geist des Verteidigungs- und Befreiungskampfes gegen den Aggressor Nazideutschland kam aus dem Innersten der russischen Volksseele. Und die ist ungebrochen.
Autochthone Staaten – man stelle sich vor,
das macht Schule
Doch gerade dieses ganz auf sich selbst bezogen sein1, dieses autochthone Selbstverständnis ist es, das den mit Weltführer-Allüren agierenden transatlantischen Strategen so gefährlich und verhasst erscheinen muss, wie einst Lenins Doktrin von der Weltrevolution. Denn man stelle sich vor, das macht Schule. Die Länder gehen plötzlich autochthone Wege, lassen sich weder in ferne Kriege einspinnen noch mit Freihandelsabkommen entdemokratisieren. Sie tun nur das, was dem eigenen Land mutmaßlich gut tut und als Regierungsform wählen sie ein ihrer nationalen Mentalität am ehesten entsprechendes System. Und assoziieren tut man sich nur mit gleichermaßen autochthonen Staaten und nur wenn die Vorteile und Risiken einer Partnerschaft gleichberechtigt verteilt sind.
Möchtegern-Weltführer, globale Finanzspekulanten und Neokapitalisten wissen, dass sie sich an selbstbewusst autochthonen Staaten und Völkern die Zähne ausbeißen. Ein politisches System mit Weltmachtanspruch, das auf permanenter doppelter Kriegswirtschaft basiert (erst bei Zerstörungswaffen, dann am Wiederaufbau profitieren) würde seiner Existenzgrundlage beraubt werden. Das System müsste sich wesenhaft ändern. Revolution von innen. HEINZ KNOTEK
- was natürlich auch inneren Probleme einschließt, deren Existenz man weder idealisieren, noch ignorieren oder ausklammern darf. ↩
Zuletzt aktualisiert: 16.05.2015 von Heinz Knotek