Beobachtungen auf der Buchmesse Frankfurt
Babystrich auf der Buchmesse? Am helllichten Tag? Die Rolltreppe fährt einer am Geländer stehenden Gruppe weiblicher Teenager entgegen. Ein dickliches Mädchen fällt auf. Sie ist um die 15 Jahre alt, steht mit dem Rücken zur aufwärts schwebenden Menge und trägt knapp sitzende bunte Shorts aus dünnem Stoff. Nein, das sieht nur so aus.
Cosplay: Im Samurai-Kostüm kostenlos zur Buchmesse. (*)
Die verkleideten Teenager sind „Cosplayer1“, die sich traditionell mit einem Anime-Gewand den kostenlosen Zugang zur Buchmesse verdienen. Offenbar findet es das Mädchen – und deren Eltern – angemessen, dabei den mehr erotischen Aspekt des Cosplay zu spielen. Obwohl der Aufzug nichts Erotisches hat. Leeres Spiel und Selbstinszenierung – die scheinbar vorherrschenden Merkmale der Buchmesse 2010 in Frankfurt am Main.
Und das Buch zur Rastawurst?
In Halle 3 im Eck großes Kochen. Doch, Kochshows werden geguckt. Warum also nicht auch auf der Buchmesse damit Quote machen? Daneben ein kleiner Stand mit einem schönen Klavier. Ein Musikverlag. Ein Mann – ob Autor oder Verleger ist im Vorbeigehen nicht auszumachen – gibt sich am Mikrofon intellektuell: 1.800 Mails würden in seinem E-Mail-Postfach liegen, beginnt er eine Ansprache. Spöttisches Lächeln im Mundwinkel. Und keine gelesen. Wow. Wie intellektuell oder eben auch nicht. Je nach Sichtweise.
Alte Männer. Nun, auch Gurus werden alt. Doch gelingt es etwa sich trotz Halbglatze einen Touch von 68er-Ur-Ur-Guru zu geben, in dem man zum Beispiel den Haarrest mit bis zum Hintern reichenden Rasta-Würsten designed, dann ist damit zumindest das zahlreiche Hingucken sichergestellt. Und das Buch zur Rastawurst? Egal. Neben Haar-Design dürfte dem Mann kaum Zeit zum Bücherschreiben bleiben. Eine Zeitung sprach von der Buchmesse als einem MARKT DER EITELKEITEN.
In dem Maße wie große deutsche Verlage zunehmend in der Globalisierung versinken, erhalten kleine Buch-Macher zunehmend Absatzchancen. (*)
Und Frauen? Passend zum E-Mail-Klavier-Mann nicht weit weg eine jener klischeehaft vor lauter zweitem Frühling fast platzenden – nun älteren – Damen. Die dralle Körperfülle hupft förmlich im weiten jugendlichen Kleid vor lustvoller Selbstinszenierung. Vielleicht ein Dutzend Leute bleiben stehen und hören zu, wie die Dame mit dem Gesundheitssystem abrechnet – sie doziert dazu exaltiert über irgendeinen Härtefall. Um dann dem Mikrofon Erkenntnisse anzuvertrauen, die – wenn auch weniger emotional überhöht – jeden Tag in der Zeitung stehen. Das Buch braucht man also auch nicht, das hier mutmaßlich gerade verkauft wird.
Auf zu Weltreligionen. Auf zum Diederichs-Verlag. Mal sehen, was es Neues in der GELBEN REIHE gibt. Neulich war Diederichs noch bei Hugendubel. Sucht man im Herbst 2010 die Webseite des Verlages landet man jedoch beim Gobal Player Random House. Netter Unter-Internetauftritt mit obligatorischer Warenkorbfunktion. „Ich trinke also bin ich“, „Halbmondweisheiten“ und – es lässt den Atem stocken – „Philosophische Temperamente“, noch eine Sammlung narzistischer Phrasenergüsse von Peter Sloterdijk, die bekanntlich so philosophisch2 sind wie Autoreifen essbar – diese billige Anlehnung an den flüchtigen Zeitgeist ist also drin wo Diederichs drauf steht. Auf dem Stand – von Kösel, der ebenfalls zu Random House gehört – findet man im bunten Allerlei der Buchrücken dann doch noch Reste von Diederichs legendärer gelben Reihe. Wenn auch ihrer eindeutig wiedererkennbaren Identifikation beraubt. Eine Dame am Stand beantwortet mit sichtlicher Bedrücktheit in der Stimme die Frage, warum zum Teufel der Verlag seine nun fast 100-jährige Tradition an Buchkonzepten aufgegeben habe. Sinngemäß die Antwort: die Verlagsleitung diskutiert das gerade. Man mag anfügen: Hoffentlich ist es dafür nicht zu spät…
Globale Verlage … Rendite-Anstalten
Die ehemals großen deutschen Verlage scheinen im Moment dem „Ossi-Syndrom“ zu verfallen. Völlig überrascht stehen die „alten“ Buch-Macher der Vereinigung von Print und Web, oder besser dem Übernahmeversuch durch die Web-Kalkulierer gegenüber. Fehlendes Know-how, Mangel an Selbstbewusstsein und selbsterfüllender Gehorsam zum Zwecke kurzfristiger Vorteile waren schon bei der DDR-Übernahme durch den Westen einer der Gründe für bis heute nachwirkende Fehlentwicklungen: Die Menschen leisteten den notwendigen Veränderungen entweder trotzig Widerstand oder vollführten eine übertriebene Anpassung an das unbekannt Neue.
Viele gegenüber den „neuen Technologien“ unsichere Verleger opfern offenbar bewährte Buchkonzepte dem iPad-Hype, in der irrigen Hoffnung, sich damit in das Google-Zeitalter retten zu können. Leider übersehen sie dabei, dass Tablet-Computer lediglich MEDIUM sind. Also weder Konzept, noch Inhalt. Und sie übersehen auch, dass globale Verlage vor allem Rendite-Anstalten sind. Es geht vereinfacht ausgedrückt um schnelles Geld. Und nur um schnelles Geld.
In dem Sinne wäre sogar denkbar, dass die ordinären Teenager an der Rolltreppe in Wirklichkeit von dem Verlag angeheuert wurden, in dem die Frau des deutschen Verteidigungsministers, Stephanie zu Guttenberg, ihren gedruckten Kreuzzug gegen den – ihrer Meinung nach – allgegenwärtigen Hang zum Kindesmissbrauch („Schau nicht weg“) veröffentlicht hat. Vielleicht dienten die Kids ganz in fragwürdiger RTL2-Manier als Lockvogel, um die Hingucker auf der Rolltreppe auf frischer Tat öffentlich als potentielle Pädophile bloßzustellen? Tatort Buchmesse sozusagen. Nichts ist unmöglich. Bücher.
(*) Text/Bild: Kô-Sen
Zuletzt aktualisiert: 11.10.2010 von Heinz Knotek