Schon 2007 hätte Bundeskanzlerin Merkel am liebsten ganz Europa zur Gottesstaat-Zone erklärt. Merkel beklagte damals am Entwurf der EU-Verfassung das Fehlen christlicher Bezüge. Jetzt probiert Bundespräsident Wulff einen weiteren Vorstoß in die Richtung: Deutschland, so Wulff sinngemäß, sei christlich-jüdischen Ursprungs. Moslems hätten jedoch in einer derart gegründeten Gesellschaft auch Platz.
Handreichung in religiösen Dingen – Privatsache. (*)
Deutschland ist aber kein Gottesstaat und Religion per Verfassung strikt Privatsache. Wer in Deutschlan Platz hat, entscheidet weder Wulff noch die Religionszugehörigkeit. Wulff ist Repräsentant eines Staates, nicht eines Religionssystems. Seine Einlassungen in Sachen Religion sind nicht nur inhaltlich fragwürdig, sie passen auch nicht zu seinem Amtsauftrag.
„Da kommt jetzt der nächste heilige Kokolores“
Auch in der Causa Wulff findet sich im politischen Kabarett mehr praktischer Sachverstand als in der aktuellen Politik selbst. In der Oktoberausgabe der Kabarett-Sendung Mitternachtsspitzen des WDR rückt Jürgen Becker die Debatte um die Äußerungen Wulffs ins rechte Licht:
Der Moslem muss unsere Werte akzeptieren… Das ist völlig unstrittig. Interessant wird es erst, wenn der korantreue Moslem sagt, ihr müsst auch unsere Werte integrieren. Da wird es schwierig. Unser Präsident redet Wulff-Shit. Weder das Judentum, noch das Christentum, noch der Islam sind unser Fundament. Wir sind doch nicht mehr im Mittelalter. Da haben wir nach jahrhundertlangem Kampf die Kirche entmachtet und vom Staate getrennt, durch die segensreiche Aufklärung unseren gesellschaftlichen Boden von religiösem Gerümpel und sakralem Schmodder entschlammt, da kommt jetzt der nächste heilige Kokolores durch die kalte Küche. Good by Maria; welcome Scharia? Aber Christian Wulff hat klar gestellt, er wäre auch der Bundespräsident der islamischen Bevölkerung. Warum soll es den Moslems besser gehen als uns…
Kirche im rechten Licht? (*)
Es kommt nicht darauf an, ob „der Moslem“ unsere Werte akzeptiert. Und was sind überhaupt „unsere Werte“? Becker erinnert zu recht daran, dass vor allem die Trennung der Kirche – und damit der Religion – vom ansonsten demokratischen Rechtsstaat das entscheidende Fundament der Gesellschaft ist. Religion ist Privatsache, solange – wie bei allem Privaten – dabei die rechtsstaatliche Ordnung eingehalten wird. In dem Sinne hat jeder Mensch das Recht in Deutschland zu leben, zu arbeiten und seinem Glauben nachzugehen. Wer jedoch andere Menschen verbal oder tätlich bedroht und angreift, der MUSS strafrechtlich belangt werden, ganz gleich ob es sich dabei um politisch motivierte Gewalttäter, islamistische Hassprediger oder christliche Priester mit pädophilen Neigungen handelt. Es geht dabei weder um Politik, noch um den Islam oder das Christentum. Was zählt sind der Mensch und seine Taten.
Ob unser Nachbar Moslem ist oder Buddhist oder Katholik ist völlig ohne Belang. Von Belang ist allein, ob er sich verlässlich ans Grundgesetz hält – so wie man selbst. Die vermeintlich den Moslems entgegen gestreckte Politikerhand ist als Geste unglaubwürdig. Es hat vielmehr den Eindruck, hiermit soll – durch die kalte Küche – eine eigene religiöse Vormachtstellung im Staat wieder eingeführt werden. Davor bewahre uns Gott.
(*) Text/Bild: Kô-Sen
Zuletzt aktualisiert: 20.10.2010 von Heinz Knotek
Interview mit dem evangelischen Theologen Friedrich Wilhelm Graf (Süddeutsche Zeitung, 13. Oktober 2010):
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