Mauerfall vor 25 Jahren – Sollte es die gemutmaßten, strategisch Strippen ziehenden, transatlantischen „Denkfabriken“ hinter den politischen Kulissen wirklich geben, dann war man dort am 9. November vor 25 Jahren aus ganz anderen Gründen in Feierstimmung als die „wiedervereinten“ Massen an der aufgebrochenen Mauer. Endlich konnte der ökonomische Wahnsinn „soziale Marktwirtschaft“ aufhören.
Bis zum Mauerfall das kostbarste Gut Nachkrieges-Deutschlands
Mit dem Mauerfall und der Implosion des gesamten Ostblockes war es politisch nicht erforderlich, das 1948 mit dem Marshallplan initiierte permanente ökonomische Opfer der Subventionierung der Sozialstaaten Westeuropas – allen voran Westdeutschlands – weiterhin aufzubringen. Der Aufwand hatte sich ausgezahlt, mission accomplished. 41 Jahre lang wurde das ideologische Ideal der sozialistischen Diktatur, man wäre das für die Menschen bessere System, etwa weil es weder Arbeitslosigkeit noch Armut geben würde, wirksam unterminiert. Es gab in der DDR das geflügelte Wort, man wäre dann doch lieber „arbeitslos und arm“, weil man dann ein Mehrfaches an Einkommen haben würde, für das man sich auch noch alles kaufen könnte.
Ein lebensfähiger sozialistischer Staatenblock unter Führung einer Atommacht als attraktive Antithese zum Staatenblock des freien Marktes unter US-Regie – das wäre eine existenzielle Bedrohung für das kapitalistische System gewesen. Da der mutmaßlichen Gefahr1 mit militärischen Mitteln nicht beizukommen war, blieb nur die ökonomische Waffe. Sprach man Parteiideologen im Osten auf den Wiederspruch an, dass es den „armen Ausgebeuteten“ im Westen finanziell besser gehen würde, als den „umsorgten“ Menschen im Osten, kam zur Antwort: Das wird gezielt gegen die wirtschaftlich schwächelnden Länder des Ostblocks eingesetzt, gäbe es diese sozialistischen Staaten nicht, gäbe es auch keine westeuropäischen Sozialstaaten. Heute weiß man: das war kein Propagandageschwätz, sondern erstaunlicher politischer Durchblick.
Gerade mal 16 Jahre nach der Wiedervereinigung war das kostbarste Gut des Nachkrieges-Deutschlands, das System der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik, mittels einer „Reform des Sozialsystems und des Arbeitsmarktes“ (2003 bis 2005) abgewickelt und durch die neoliberale AGENDA 2010 ersetzt. Im Zuge der Privatisierung im Osten wurde – sozusagen in einem Aufwasch – der halbe Westen gleich mit privatisiert. Selbst die „heilige Kuh“ Rentensystem steht seitdem zur Disposition.
Es war aber auch Gefahr in Verzug. Nicht auszudenken, wenn die zunächst konsumgütertrunkenen Ostdeutschen nach dem Ausschlafen des ersten Katers begriffen hätten, was SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT bedeutet. Ganz sicher wäre es dann nicht möglich gewesen, die Massen mit einem einmaligen Eins-zu-eins-Umtausch ihres wertlosen Geldes ruhig und zufrieden zu halten. Als im Osten wieder gesunder und vor allem nüchterner Menschenverstand einzog, war sie von der Bildfläche schon weitgehend verschwunden, war die soziale Marktwirtschaft der „alten“ Bundesrepublik nur noch historisches Relikt. Also richtete man sich im Spannungsfeld zwischen moderner Infrastruktur und massenhaft prekären Lebensverhältnissen mit HARTZ IV und Eineurojobs so gut es geht ein. Erst im Osten, dann zunehmend im Westen.
Ein „Reichsverweser“ der nie das „Reich“ kennengelernt hat
Genau der richtige Zeitpunkt für eine Regierungsadministration, deren Chefin mit all diesen „Altlasten“ nichts am Hut hat. „Soziale Marktwirtschaft“ kennt Angela Merkel nur aus den Vorlesungen in ihrer Zeit als Physikstudentin und FDJ-Funktionärin an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Ein „Reichsverweser“ der nie das „Reich“ kennengelernt hat, das er abzuwickeln hat, ist das optimale Werkzeug für an der Abwicklung wirtschaftlich und politisch interessierte Kräfte. Wer sich bewährt hat beim regionalen Abwickeln „seines“ demokratischen Sozialstaates, der ist für das unbefristete Weitermachen geadelt. Schließlich gilt es nun, die EU-Nationalstaaten in EU-Provinzen mit beschränkter Handlungsbefugnis und uneingeschränkt TTIP-kompatibel zu machen. Eigentlich kein Grund zum Feiern. HEINZ KNOTEK
- Mutmaßlich – denn wie sich zeigte, war weltweit keines der praktizierten Sozialismusmodelle langfristig lebensfähig. Wurde der Zusammebruch von außen auch impulsiert und gefördert, die eigentliche Ursache war systemimmanent. ↩
Zuletzt aktualisiert: 09.11.2014 von Heinz Knotek