Alice Bailey (1880-1949).
Foto: gemeinfrei
Der Alice-Bailey-Kult schien schon nur noch eine längst vergessene Facette der posttheosophischen Bewegung des 19. Jahrhunderts. Jetzt sind ein paar Vertreter der so genannten „Neuen Gruppe der Weltdiener“ die sich auch auf die astralen Ergüsse des Mediums Alice Bailey berufen in aller Munde.
Der sich als Weltdiener-Guru gerierende Gerhard L. hatte die Eltern der „Sektenkinder von Lonnerstadt“ mutmaßich zu einem kaltherzigen und vernachlässigenden Umgang mit ihren Kindern angespitzt und sein Tun mit eitlen esoterischen Phrasen wie Karma und Reinkarnation begründet. Durch eine TV-Dokumentation des WDR war das ALLE spirituellen Bewegungen in Verruf bringende Treiben einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Das Amtsgericht Erlangen hat dem Spuk nun ein Ende bereitet und die Kinder dem Einfluss der Sekte entzogen.
Pseudo-theosophische Gruppen
Vor gut 100 Jahren war der Höhepunkt des „Messias-Kultes“, veranstaltet von esoterischen Gruppen, die aus der zerfallenen theosophischen Bewegung von H. P. Blavatsky (1831-1891) nach deren Tod hervorgegangen waren. Der Messias-Kult besaß eine globale und eine personenbezogene Komponente. Global propagierte ab 1910 herum vor allem eine Gruppe um Annie Besant (1847-1933) die baldige Ankunft eines neuen Weltlehrers, des neuen Messias oder Lord Maitreya, den die mühsam um Medialität ringende Besant hellseherisch in einem kleinen Jungen zu erkennen meinte: Jiddu Krishnamurti (1895-1986).
Eine von mehreren pseudo-theosophischen Gruppen mit dem Ziel im Zuge einer personenbezogenen Führung durch einen so genannten „Mahatma“ dessen Chela (Schüler) zu werden, bildete sich nach 1915 um das Medium Alice Bailey (1880-1949) heraus. Mitglieder solcher Gruppen gaben und geben sich der Illusion hin, über die vermeintliche Medialität einer Person, in dem Fall Baileys, an einem „von oben“ gesteuerten Einweihungsprozess teilnehmen zu können. Konkret führten und führen solche egozentrischen Hoffnungen zu einer an Hörigkeit grenzenden Abhängigkeit vom betreffenden Medium und sektenartigen Gruppenstrukturen.
Sektenkinder
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Film von Beate Greindl © WDR
Während der globale Messias-Kult im Zuge des heraufziehenden Zweiten Weltkrieges an Bedeutung verlor – Krishnamurti hatte sich zudem noch in den 1920er Jahren von der an ihm versuchten Fremdbestimmung gelöst – entwickelte sich der personenbezogene Kult um Bailey zu einem wirtschaftlich florierenden Unternehmen, das später wesentlich die New-Age-Bewegung impulsierte und noch heute in kleinen Gruppen der Illusion einer persönlichen Führung durch „aufgestiegene Meister“ anhängt. In diesen Kreisen entstand die anmaßende Kategorie „Neue Gruppe der Weltdiener“.
Den lokal operierenden „Weltdienern“ steht zumeist ein Guru vor, der sich andeutungsweise als „Wissenden“ gibt und – das Entscheidende – der den subtilen Eindruck vermittelt, einen konkreten Draht zu eben diesen „aufgestiegenen Meistern“ zu besitzen. Die Gruppen sind sektenartig strukturiert, es muss zumeist der symbolische Zehnte der Einkünfte (gern auch mehr) abgeliefert werden und es wird ein Einweihungsprozedere in Aussicht gestellt, das freilich allein von den nicht überprüfbaren „Fähigkeiten“ und „Kontakten“ des Pseudo-Gurus abhängt.
„Gesund und wohlgenährt“ – trotz erkannbaren Mangels an medizinischer Versorgung
Die theoretische Basis dieser Gruppen sind unter anderen die endlosen astral-medialen Ergüsse von Alice Bailey, mit denen sich ganze Bücherregale füllen lassen. In den Texten wird einerseits eine unverbindliche Melange aus Theosophie, Buddhismus, Hinduismus und viel Fantasiertem – etwa über vermeintliche Details zu höheren Hierarchien – verbreitet. Andererseits wird eine streng-asketisch Lebenshaltung propagiert ohne die eine direkte Schülerschaft und letztliche Transformation der Persönlichkeit nicht möglich sei1. Der Askese-Zwang, dessen Bewertung stets von der Willkür des ansonsten aufgrund seines „spirituellen Fortschritts“ von Askese befreiten Gurus abhängt, ist bestens geeignet, die Psyche von Sektenmitgliedern dauerhaft effektiv zu manipulieren. Dass ein in diesem Wahn gefangener Mensch nicht davor zurückschreckt, dabei selbst seine Kinder mit einzubeziehen, belegt eindrucksvoll die filmische Dokumentation des WDR.
Von besonderer Pikanterie ist die Haltung des SPD-Landrats im Landkreis Erlangen-Höchstadt in dem Fall. Fassungslos musste man bislang den Eindruck haben, dieser würde seine schützende Behördenhand über das Treiben des Möchtegern-Gurus Gerhard L. und seiner Anhänger halten. Den in der WDR-Dokumentation dargestellten hartherzigen und intoleranten Umgang mit den Kinder durch ihre Eltern eines fragwürdigen, fiktiven Ideals willens als geordnete Familie mit herzlichen Verhältnissen2 zu bezeichnen mutet wie blanker Hohn an und führt zur Frage nach einem möglichen Motiv. HEINZ KNOTEK
Linksunten: Justiz geht gegen Sekte vor
- Dabei wird ein allen Weisheitslehren innewohnender Grundsatz pervertiert, dass der Sucher, in Worten der Bibel, IN aber nicht VON der Welt zu sein hat. Was aber vor allem eine Frage der INNEREN ALTRUISTISCHEN Haltung ist, nicht etwa des verkrampften Verbietens von Süßigkeiten bei den (eigenen) Kindern. ↩
- Süddeutsche Zeitung, 9. Juli 2013 ↩
Zuletzt aktualisiert: 17.07.2013 von Heinz Knotek