Hasst der Westen den Islam?“ lautet die klagende Headline in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung , in dem sich der ägyptische Schriftsteller Alaa Al-Aswani gegen die zunehmende Islam-
feindlichkeit im Westen wendet. Man würde, so der Autor, den Islam völlig falsch auslegen. Als Alternative bietet er eine mehr allegorische Deutung des Koran an, vor allem bei den Passagen mit Gewaltexzessen. In einem Leserbrief hat der Islamwissenschaftler Lutz Richter-Bernburg auf unwiderlegbare Weise auf den methodologisch falschen Ansatz einer solchen Islamauslegung hingewiesen. Al-Aswani würde exakt denselben Fehler machen, wie jene Leute, die meinen, im Koran Rechtfertigung für Mordlust und Aggression zu finden: einen überlieferten Text unkritisch wörtlich nehmen.
Kirche ohne Schriftgelehrte: Vom Dombau zur Konzertkirche – in Neubrandenburg wurde dadurch ein wahrhaft überkonfessioneller Andachtsraum geschaffen. (*)
Al-Aswani würde, so Richter-Bernburg, ebenfalls den Koran wörtlich nehmen, nur eben anders auslegen. Damit ließe sich aber die aus dem Koran ableitbare Kriminalisierung der Apostasie nicht auflösen. Eine kritische Analyse des heiligen Textes und eine Abkehr von wörtlicher Auslegung wären stattdessen unumgänglich. Ohne jeden Zweifel hat der Professor Recht in der Sache. Doch wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen.
Dem gesunden Menschenverstand
widerstrebende Thesen
Kritische Textanalysen von als heilig verehrten Texten ist das oberste Gebot des denkenden Menschen. Das müssen sich auch die Anhänger des Islam sagen lassen, wenn sie es schon nicht selbst tun. Doch hat eine Kultur das Recht für solche Zurechtweisungen, die SELBST auf einem religiösen Verständnis basiert, in dem eine zugrunde liegende „heilige Schrift“ ihrer historischen Bedingtheit wegen öffentlich weder „kritisch analysiert noch entsprechend rekontextualisiert1“ wird, Ansätze in der Richtung als anstößig gelten und konträre Ansichten gar strafrechtlich verfolgt werden2?
Wenn die methodologische Kritik Professor Richter-Bernburgs glaubwürdig sein soll, muss sie zunächst als Selbstkritik daher kommen. Auch in der heiligen Bibel finden sich zuhauf Stellen mit blutrünstigen Gewaltexzessen und Andeutungen sexueller Abnormalität. Schwerer noch mögen dem gesunden Menschenverstand widerstrebende Thesen wiegen, wie die unbefleckte Empfängnis oder das Heraufbeschwören und Verbannen eines „Teufels.“
Die Moslems müssen sich selbst aufraffen
Die Belehrung der Moslems von christlicher Seite wirkt daher wie ein Steinwurf aus dem Glashaus. Zwar fehlt in der Bibel das Meuchelmorden Andersgläubiger. Doch ließ sich das Kirchenchristentum über Jahrhunderte hinweg deswegen davon nicht abhalten, genau das zu tun – im Namen IHRER heiligen Schrift.
Der Islam ist kein Computerspiel und die Moslems sind keine Minderjährigen, die ein Erziehungsberechtigter auf die Gefahr des Spielens aufmerksam machen müsste. Die Moslems müssen sich selbst dazu aufraffen, sich und ihren Priestern kritische Fragen zu stellen und das Schriftgelehrtentum auf den Prüfstand der Vernunft zu heben. Das aber müssen früher oder später alle aufrichtigen Anhänger von Religionen, auch die des Kirchenchristentums. Mit Reformvorschlägen und Systemkritik den Moslems gegenüber sollte sich die christliche Gesellschaft daher zurückhalten. Wie heißt es doch in der Bibel:
Aber was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, doch den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?
(Matthäus Evangelium 7,3)
(*) Text/Bild: Kô-Sen
- ebenda ↩
- Siehe: Harte Zeiten für Atheisten ↩
Zuletzt aktualisiert: 18.07.2009 von Heinz Knotek