Sven Kuntze „Auf der Suche nach dem lieben Gott1“
Sehr ernst und immer wieder sehr sentimental geht es zu, wenn Vertreter dieser oder jener Religion versuchen mit ihrem jeweiligen Kult dem Journalisten Sven Kuntze ihre spirituelle Praxis zu erklären und womöglich zu vermitteln. Dennoch – seine teilweise fast respektlos anmutende Heiterkeit lässt sich Kuntze zu keinem Zeitpunkt nehmen. Und – und das ist das Herausragende des Films – auch nicht das Immer-Weiter-Fragen.
Spirituelle Suche – Anklopfen an Türen. (*)
Eine Übersicht in Deutschland gelebter Religionen und Kulte will und kann eine 90-Minuten-Doku nicht geben. Man muss sich auf den suchenden Ruheständler Sven Kuntze (69) einlassen, der seinen kindlichen Glauben an Gott einst hatte stehen lassen – „wie einen alten Regenschirm im Zug“ und seiner individuellen Suche folgen, „jetzt wo es im Alter regnerisch wird und man den Schirm gern wieder hätte.“
Fast penetrant wirkendes Fragen
und Nachfragen nach Authentizität
Kuntzes ganz persönliches Schlendern über den Markt religiöser Angebote lässt viele Offerten unbeachtet:
- die evangelische Kirche,
- das weite Feld evangelikaler Glaubensgemeinschaften,
- das Judentum,
- den Taoismus,
- das breite spirituelle Spektrum der Hindu-Tradition.
An den „Ständen“ wo er verweilt erhält der Zuschauer aber einen intimen Einblick in das jeweilige Angebot. Das fast penetrant wirkende Fragen und Nachfragen nach Authentizität und warum bei IHM (dem Autor) außer hier und da etwas Sentiment NICHTS von der realen Existenz des „lieben Gottes“ spürbar ist, verleiht der Doku ein hohes Maß an Objektivität und entschädigt für den Makel der subjektiv-selektiven Auswahl religiöser Angebote.
Den Fokus seiner skeptischen Neugier richtet Kuntze auf
- die katholische Tradition des Christentums,
- zwei spezielle buddhistische Schulen,
- eine Richtung des Islam und
- etwas das er für Esoterik hält.
Allen vorgestellten religiösen Wegen ist gemeinsam das ICH zu konditionieren etwas Bestimmtes zu tun oder eben nicht zu tun. Bei den Katholiken geht es dabei um das Gefühl globalen Liebens und einer emotionalen inneren Wahrnehmung, die als Gegenwärtigkeit Gottes interpretiert wird. Die zwei von Kuntze selektieren buddhistischen Schulen richten das ICH des Meditierenden entweder asketisch-bemüht auf gruselige Bilder der Vergänglichkeit körperlichen Seins oder in Zen-Manier selbstsuggestiv auf „das Entwickeln liebevoller Güte“. Im Islam findet sich schließlich vor dem Hintergrund „den ganzen Stolz zu brechen als absolute Hingabe an den Schöpfer Allah“ ein fast idyllischer Familienzusammenhalt.
Schattenseiten der Religion: Gedenktafel für die Opfer der Hexenverfolgung im Namen der Kirche, Stadtkirche Bad Wildungen. (*)
Bezeichnend für das miserable öffentliche Ansehen der Esoterik als spirituelle Praxis ist Kuntzes Besuch bei einer mutmaßlichen „Engel-Spürerin“. Im selbstverzückten Dauerlächeln lässt die Dame Engelkarten ziehen, behauptet mit Erzengeln über den Autor zu sprechen um ihm schließlich „göttliche Energie“ zu übertragen. Das Sammelsurium an spiritistischem Gehabe lässt Kuntze sanft einschlummern. Dass Esoterik eigentlich für eine nur Eingeweihten zugängliche philosophische Lehre zu den unsichtbaren Kräften HINTER der Welt der Formen und Erscheinungen steht, bleibt unerkannt und unerwähnt. So wie generell KEIN Weg präsentiert wird, der sich der Überwindung der illusorischen Vorstellung eines ICHs widmet.
Unsterblichkeit der selbstbewussten Seele (Lamiskate, m.) im Spannungsfeld vergänglicher (Sanduhr) physischer Existenz (Totenschädel). Stadtkirche Bad Wildungen, Detail. (*)
Überhaupt bleiben die Schattenseiten der sich lichtvoll darstellenden spirituellen Wege unreflektiert. Etwa dass der vordergründig innige Zusammenhalt der islamischen Familie eben auch den Keim despotischer Gewalt in sich trägt, der ganz schnell manifest werden kann, zum Beispiel wenn ein Familienmitglied nicht gewillt ist sich den engen Regeln zu fügen. Gänzlich außen vor bleibt auch, dass Religion mehr ist als „Rettungsschirm“ der von Unbill und Tod bedrohten Persönlichkeit, was aber symptomatisch für das gegenwärtige Verständnis von „Religion“ ist. Dass Religion einerseits in einem höheren Sinne ein fundierter Weg hin zu wissenschaftlicher Erkenntnis und DIREKTER SCHAU der Wirkweise des EINEN GÖTTLICHGEN PRINZIPS ist und andererseits ein praktischer Leitfaden zur Erreichung der Unsterblichkeit (der Seele) – ist der gegenwärtigen westlichen Zivilisation völlig verloren gegangen. Das wäre doch für Sven Kuntze ein schöner Stoff für eine weitere Folge seiner „Auf-Probe-Reportagen“, etwa mit dem Titel: „Unsterblich auf Probe – Leben jenseits des ICHs“.
Fazit: Die Dokumentation ist blankes Balsam für alle Sucher auf dem Pfad, wenn sie einmal wieder von Skepsis und Zweifel angefallen werden. Das direkte offene Herangehen von Sven Kuntze erschließt dem Zuseher die lichten Seiten der vorgestellten Wege unmittebar. Ein auch unterhaltsames spirituelles Erlebnis.
Linksunten: ARD-Mediathek: Gläubig auf Probe
(*) Text/Bild: Heinz Knotek
- Freier Download für einen begrenzten Zeitraum möglich, s. LINKSUNTEN ↩
Zuletzt aktualisiert: 28.12.2011 von Heinz Knotek