Manche Menschen, die als gebildet gelten und sich ethisch-moralisch wertkonservativ geben äußern gern ihren Ekel über die „schlimmen Sachen“ im Internet. Weil sie meinen, es mit ihren Kindern gut zu meinen, ist die Dämonisierung der elektronischen Medien auch ein Aktivposten der Erziehung. Kinder und Jugendliche dürfen entweder gar nicht oder nur unter strengen Auflagen und zumeist technisch sehr eingeschränkt ins Web. „Internet ist Teufels- und Dreckszeug!“ ist dabei die dämagogische Parole.
Mit Knoblauch gegen den digitalen Belzebub? (*)
Wenn es sicher helfen würde, sie würden vor jedem Computermonitor oder gar den DSL-Anschluss eine Knoblauchknolle legen. Knoblauch soll ja, laut mittelalterlichem Aberglauben, den Teufel fern halten. Der Teufel ist aber bekanntlich eine Erfindung machtpolitisch ambitionierter Kirchenväter. Und seine Kinder in das Korsett eigener Klischees und Komplexe zu zwingen ist – ja, vor allem bequem und eine Form der Verletzung der Fürsorgepflicht!
Das Internet gehört zum Alltag
wie Autofahren und Straßenverkehr
Nicht nur, dass Eltern die ihre Kinder von den „schlimmen Sachen“ fernhalten wollen diese „Sachen“ zumeist nur vom Hörensagen kennen. Fragt man nach, stellt sich oft auch heraus, dass es an grundlegender Kenntnis zeitgemäßer Informationstechnologie mangelt. Das äußert sich etwa darin, dass selbst gängige E-Mail-Kommunikation kaum beherrscht wird oder der praktische Nutzen einer Suchmaschine kaum bekannt ist. Plötzlich erscheint die Sorge in einem anderen Licht. Warum soll man sein bequemes Schneckenhaus verlassen und sich die Plackerei antun, sich im Interesse seiner Kinder mit den zahllosen Optionen und diffusen Fallstricken des Internets beschäftigen?
Eltern, die ihre Kinder von den „schlimmen Sachen“ im Internet dadurch fernhalten wollen, dass sie das Internet zum Tabu erklären, müssten ihren Kindern dann auch verbieten öffentliche Straßen zu betreten. Schließlich kann man auf der Straße überfallen, ausgeraubt, missbraucht werden. Kein vernünftiger Mensch käme auf eine solche absurde Idee. Das Internet gehört zum Alltag wie Autofahren und Straßenverkehr. So wie Kinder bestimmte Regeln lernen müssen, damit sie sicher über eine Straße kommen oder etwa als Radler selbst dort unterwegs sind, so müssen sie auch lernen sich im Labyrinth des Internets bewegen zu können, ohne der erst besten „schlimmen Sache“ zum Opfer zu fallen.
Die Erfahrung zeigt, Kinder die mit digitaler Enthaltsamkeit belegt werden suchen und nutzen früher oder später die erst beste Gelegenheit, um sich lustvoll in genau die „schlimmen Sachen“ fallen zu lassen, von denen man ihnen daheim immer schaurige Andeutungen gemacht hat. Und selbst wenn in einem Kind eine reife Seele wohnt, die mit Sex- und Gewaltdarstellungen nicht adressiert werden kann – auch wer diesem dann besonderen Kind die Chance verweigert, Kompetenzen im Umgang mit digitalen Welten zu erwerben, der verletzt schlicht und einfach seine Fürsorgepflicht.
(*) Text/Bild: Heinz Knotek
Zuletzt aktualisiert: 20.11.2011 von Heinz Knotek