Jeden Moment stehen wir zwischen den beiden Polen Anziehung und Abstoßung, Vorlieben und Abneigungen, Hass und Liebe. Genau in der Mitte steht jeweils das ICH. Das Ich, Kind und Projektion der Gegensatzpaare, bildet sich ein, wenn es sich schön in der Mitte hält bei aufsteigendem Hass und ganz darin aufgeht beim Empfinden von Liebe, es sei GUT.
Süßes Kälbchen. Warum finden wir es süß? Weil der Anblick schöne Empfindungen auslöst. (*)
Liebe wird dadurch zum Zahlungsmittel. Ganz schlimm wird es, wenn jemand dazu noch GOTT ins Spiel bringt. Das sagt zumindest Meister Eckehart.
Liebe – oft nur verdeckter Egoismus
Liebe, die sich auf einen Nutzen gründet, liebt des Vorteils wegen. Bei Job, Geld, Auto und Vaterland mag das nicht weiter bedenklich sein. Doch bei Partner und Kind, also bei nahe stehenden fühlenden Wesen, ist eine solche Liebe irreführend. Bekenntnisse, wie ICH LIEBE MEIN KIND oder ICH LIEBE MEINE FRAU, sind oft nur verdeckter Egoismus. Man liebt nicht der Liebe oder der Person willen, sondern weil das ICH– aus welchen Gründen auch immer – liebt. Eine solche Liebe ist in Wirklichkeit lediglich EIGENLIEBE.
Bei der Liebe zu GOTT geht es vielen Gläubigen ganz ähnlich, wie man an den Fürbitten-Büchern in manchen Kirchen sehen kann. Dort werden Gottesbekenntnisse mit Bitten um persönliche Anliegen verbunden. Die Praxis gilt als „religiöse Handlung.“ Vor allem, wenn damit eine Spende für die Kirche einhergeht. Liebe zu Gott als Zahlungsmittel – ein Hindernis auf dem Weg zu Gott, meint Meister Eckehart (1260 – 1328):
Manche Leute wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben. Die liebst du wegen der Milch und des Käses und deines eigenen Nutzens. So halten’s alle jene Leute, die Gott um äußeren Reichtum oder inneren Trost willen lieben; die aber lieben Gott nicht recht, sondern lieben ihren Eigennutz. Ja, ich sage bei der Wahrheit: Alles, worauf du dein Streben richtest, was nicht Gott in sich selbst ist, das kann niemals so gut sein, dass es dir nicht ein Hindernis für die höchste Wahrheit ist1.
Göttliche Liebe bildhaft erläutert: George Harrison – My Sweet Lord
Der buddhistische Mystiker Li Tongxuan (ca. 635 – 730) bediente sich gut 600 Jahre zuvor in einem Kommentar zum Avatamsaka-Sutra ganz ähnlicher Phrasen:
Anything attained through any agency but the thought of enlightenment ist not natural law, so the virtues of thoughts of enlightenment are unconceivable2.
Und wie heißt die Lösung des Problems?
So muss dein Herz verschlossen sein gegen alle Geschaffenheit, und du musst Gott annehmen, wie er in sich selbst ist3.
(*) Text/Bild: Kô-Sen
Zuletzt aktualisiert: 18.05.2011 von Heinz Knotek