Einmal von der Vorstellung angesteckt, dass die vielen Geschichten über Unsterblichkeit nicht nur suggestive Allegorien, sondern konkrete Realität sind oder sein können, will der Sucher möglichst schnell selbst „seine“ Unsterblichkeit in Angriff nehmen. Doch bald ahnt er, dass „Unsterblichkeit“ nicht nur nicht für sein Ego gilt und auch nicht auf die Schnelle zu erreichen ist.
Seltsamen Hindernissen und Schranken sieht sich plötzlich gegenüber, wer den PFAD betritt. (*)
Kaum fängt er an, sein Leben versuchsweise nach bestimmten ethischen Grundsätzen auszurichten, tauchen außerdem plötzlich merkwürdige Hindernisse und Schranken auf. Noch schlimmer wird es, wenn etwa erstes Meditieren angenehme Auswirkungen im Alltag nach sich zog, dann aber sich das gewonnene innere Gleichgewicht als Anfängereffekt entpuppt – und einer nie gekannten inneren Unruhe weicht. Statt erhoffter Freiheit von den Zwängen materieller Existenz, gibt es zusätzliche Plackerei.
Beginn eines Kampfes um die Vorherrschaft
In ihrem legendären Artikel Chelas und Laien-Chelas1 (CHELAS AND LAY CHELAS2) erklärt H. P. Blavatsky das Phänomen:
(Es) besteht ein furchtbares Gesetz, das in der Natur wirksam ist und dessen Wirken das Geheimnisvolle bei der Auswahl mancher ‚Chelas’ erklärt …
‚Lasst schlafende Hunde in Ruhe!’ Kein Mensch kennt seine moralische Kraft, so lange sie nicht auf die Probe gestellt wird. Tausende gehen sehr achtsam durchs Leben, weil sie nie unter Druck gestellt wurden … Wer es aber unternimmt, den Versuch zu machen, ein Chela zu werden, erweckt eben dadurch jede schlummernde Leidenschaft seiner Tiernatur und peitscht sie bis zur Verzweiflung auf. Denn das ist der Beginn eines Kampfes um die Vorherrschaft, in dem es keine Schonung gibt … (Dabei) zu versagen und der Lust, dem Stolz, dem Geiz, der Eitelkeit, Selbstsucht und Feigheit oder irgendeiner anderen niederen Neigung zum Opfer zu fallen führt zu einem unrühmlichen Märtyrertum3.
Bisherige Wege der Kommunikation verlieren ihren Sinn. (*)
In den Weisheitslehren wird der Sucher daher ausdrücklich davor gewarnt, es mit dem Engagement auf dem Pfad zu übertreiben. Es wird sogar an verschiedenen Stellen geraten, erst einmal – im Zweifel eine ganze Inkarnation lang – die schlafenden Hunde in den dunklen Winkeln seines astralen Wesens ruhen zu lassen und stattdessen sich auf eine schlichte Lebenshaltung zu beschränken, geprägt von moralischen Standards, Mitgefühl und selbstloser Arbeit für Andere. Denn allein das Erfüllen dieser wenigen Punkte erfodert Kraft und Ausdauer, die weit über das hinausgeht, was in der moderenen Gesellschaft üblich ist.
In Musings on the True Theosophist’s Path heißt es dazu:
You look and wait for some great and astounding occurrence, to show you that you are going to be permitted to enter behind the veil; that you are to be Initiated. It will never come. He only who studies all things and learns from them, as he finds them, will be permitted to enter, and for him there are no flashing lightnings or rolling thunder. He who enters the door, does so as gently and imperceptibly, as the tide rises in the night time.
Live well your life. Seek to realize the meaning of every event. Strive to find the Ever Living and wait for more light. The True Initiate does not fully realize what he is passing through, until his degree is received. If you are striving for light and Initiation, remember this, that your cares will increase, your trials thicken, your family make new demands upon you. He who can understand and pass through these patiently, wisely, placidly – may hope.
(W. Q. Judge, The Path, Vol. I, August 1886)
Silvester – Du willst mehr4
(*) Text/Bild: Kô-Sen
- Chela war eine im 19. Jh. übliche und vor allem von Theosophen benutzte Bezeichung für die Schüler eines spirituellen Meisters. (Redaktion) ↩
- Die Passage im Original: Now there is a terrible law operative in nature, one which cannot be altered, and whose operation clears up the apparent mystery of the selection of certain „Chelas“ who have turned out sorry specimens of morality, these few years past. Does the reader recall the old proverb, „Let sleeping dogs lie“? There is a world of occult meaning in it. No man or woman knows his or her moral strength until it is tried. Thousands go through life very respectably, because they were never put to the pinch. This is a truism doubtless, but it is most pertinent to the present case. One who undertakes to try for Chelaship by that very act rouses and lashes to desperation every sleeping passion of his animal nature. For this is the commencement of a struggle for the mastery in which quarter is neither to be given nor taken. It is, once for all, „To be, or Not to be“; to conquer, means ADEPTSHIP; to fail, an ignoble Martyrdom: for to fall victim to lust, pride, avarice, vanity, selfishness, cowardice, or any other of the lower propensities, is indeed ignoble, if measured by the standard of true manhood. ↩
- Deutsche Übertragung aus dem Englischen in Anlehnung an DIE MAHATMA BRIEFE, Band 3, Sattelsdorf, 1994. ↩
- Vermutlich von den Interpreten unbeabsichtigt – der Track ist eine treffliche Reflexion der Versuchung, von spirituellen Erlebnissen MEHR haben zu wollen. Das Gegenteil aller Spiritualität. ↩
Zuletzt aktualisiert: 25.05.2009 von Heinz Knotek