Bühnenstücke absorbieren Zuschauer heute weniger als dass sie einen subtilen „Kunstgenuss“ vermitteln. Völlige Absorbierung bieten eher Computerspiele und Pop-Konzerte angesagter Megastars. W. Q. Judge würde daher heute Sure zwei der Yoga-Aphorismen des Patanjali vermutlich etwa so ins Englische übertragen1:
At the time of concentration the soul abides in the state of a player of a computer game without a computer game.
Das Bühnenstück oder Computerspiel unserer physischen Existenz ist mental und emotional dermaßen absorbierend, dass wir es „mein Leben“ nennen und uns damit freiwillig in Geiselhaft der Projektionen unseres Denkens begeben. Gelingt es diesen Mechanismus zu knacken, wird Computerspiel wieder Computerspiel und die Seele frei.
Denkprinzip bewusst ohne Fokus fokussieren
Die Sure ruft ins Bewusstsein, dass ABSOBIERTES TUN nicht unbedingt KONZENTRIERTES TUN ist. Absorbiertes Tun bindet den Handelnden an das Objekt oder die Objekte, die bei ihm mentale und emotionale Absorbierung auslösen. Die Seele wird damit durch das Tun der inkarnierten Persönlichkeit an eben diese Objekte gebunden. Absorbierende „Klebemittel“ sind etwa starke Emotionen, wie Liebe und Hass. Allerdings – im Zeitalter der flüchtigen Informationsrecherche fällt selbst absorbiertes Tun immer schwerer. Immer neue visuelle Anreize, wie 3D-Projektionen, sind erforderlich, um jemanden etwa längere Zeit an ein Computerspiel zu „binden“.
Aus spiritueller Sicht ist absorbiertes Tun eine Art Aufwärmübung des Denkprinzips für wirkliche Konzentration. Vollkommene Konzentration erfordert, das permanent differenzierende Denken temporär willentlich zum Anhalten zu bringen. Das ist wie ein hochkonzentrierter Spieler am Computer, dem man auf Knopfdruck das Computerspiel entzieht. Nur mentale Fokussierung ohne Fokus ist vollkommene Konzentration.
Wer sein Denkprinzip bewusst ohne Fokus fokussieren kann, hat sein Denkvermögen von den Bindungen an materielle Objekte erlöst. Es liegt daher nahe, diese Fähigkeit auf seine eigene Existenz anzuwenden. Üblicherweise zieht Angenehmes an und stößt Unangenehmes ab und hält uns damit im Spannungsfeld zwischen Freude und Leid gefangen. Wir sind wie Theaterbesucher, die sich mit dem Theaterstück identifizieren und darüber vergessen, dass sie „nur“ Beobachter einer Inszenierung sind. Die doppelte Projektion – Zuschauer/Mitwirkender und Inszenierung/Realität – lässt uns den Bezug zur Realität der Seele verlieren und führt zur Identifikation mit Rolle und Bühne.
Geht es uns bei diesem Bühnenstück gerade gut und sind rundum zufrieden, glücklich und befriedigt, werden wir kaum „Lust“ empfinden, unseren Zustand als bloße Projektion wahrnehmen zu wollen, ganz zu schweigen ihn zu überwinden. Oft bedarf es erst eines Schmerzes und Leidens, denen wir zu entrinnen versuchen, um der Seele Gehör zu verschaffen und wieder eine Ahnung vom projizierten Wesens unseres Seins zu bekommen. Das ist der erste Schritt auf dem Übungsweg zur Befreiung der Seele, und angeblich ein Sinn des Lebens. HEINZ KNOTEK
- Im Original: At the time of concentration the soul abides in the state of a spectator without a spectacle. (Los Angeles, 1987) ↩
Zuletzt aktualisiert: 17.04.2014 von Heinz Knotek