Vier Stunden braucht es bis Rudolstadt und eine bis Königsee, informiert eine Wegbeschreibung von 1840, „um die erhabenen Trümmer der kunstvollen und majestätischen Klosterkirche von Paulinzelle, mitten in grünen Wiesen, von Haseln und Erlen umbuscht, von Tannenwaldungen umragt …,“ zu erblicken.
Klosterruine Paulinzella (Bild: Trinosophie-Blog)
Mit dem Auto dauert es heute nur noch etwa ein Fünftel der Zeit. Doch einmal angekommen, meint man, die Zeitlosigkeit betreten zu haben.
Von Schiller ist überliefert, dass ihn ein Besuch der Trümmer von Paulinzella die Vergänglichkeit allen Seins grausam bewusst werden ließ. Immerhin war zu seinen Lebzeiten das Kloster schon 300 Jahr lang Ruine. Die Faszination für die Klosterruine hat sich bis heute eher noch verstärkt. Die Überreste der einstigen Klosteranlage laden zum Verweilen und Nachdenken ein. Ein nahe liegender Verwaltungsbau wurde in den letzten Jahren aufwendig renoviert. Er beherbergt neben einem Cafe ein kleines Museum mit einer Ausstellung über den Werdegang des Klosters und die Geschichte der Region.
Von der Einsiedelei zum Kloster
Die aus einem wohlhabenden thüringisch-sächsischen Adelgeschlecht stammende Paulina hatte sich nach schweren Schicksalsschlägen entschlossen, der Welt zu entsagen. Geboren um 1067 soll sie um 1102 ihre Profess, das Ordensgelübde, abgelegt haben. Den Grundbesitz für den Bau einer Einsiedelei erwarb sie von dem in dieser Gegend ansässigen Grafen von Schwarzburg. Zunächst traten der Einsiedelei Männer und Frauen bei. Man lebte in hölzernen Bauten. 1102 wurde eine kleine Kapelle errichtet und zu Ehren Maria Magdalenas durch den Bischoff von Magdeburg geweiht.
Fresken im Langhaus mit alchemischen Symbolen (Bild: Trinosophie-Blog)
Die Inspiration zur Gründung einer Einsiedelei – Vorläufer des späteren Klosters – erhielt Paulina auf Pilgerreisen, die sie unter anderem in das Kloster St. Blasien im Schwarzwald führte. Neben Hirsau war St. Blasien ein Zentrum kirchlicher Reformbewegung. REFORM ist dabei im Sinne einer MONASTISCHEN REFORM, also der ernsthaften und disziplinierten spirituellen Praxis, zu verstehen. Eine solche Reform war notwendig geworden, nachdem das Kirchenchristentum einen moralischen Zustand erreicht hatte, der treffend mit „Wasser predigen und Wein trinken“ umschrieben werden kann.
Vermutlich 850 Jahre alt: gut erhaltene Fresken (Bild: Trinosophie-Blog)
Mönche hatten nicht nur einen zweifelhaften Ruf, was ihren Arbeitsfleiß und ihre Sittsamkeit betraf. Sie galten auch als ungebildet, sowohl im philosophisch/religiösen als auch im kulturell/wissenschaftlichen Sinne. Dem Niedergang des monastischen Lebens entgegenzuwirken war das Ziel der Reform. Klöster, die sich den Reformvorschriften unterstellten, waren nicht nur Orte demutsvoller Meditation und Kontemplation. Sie bildeten auch kulturelle Zentren, besaßen Bibliotheken mit kostbaren Beständen an Schriften aller Art und förderten das künstlerische Schaffen auf vielfältige Weise.
Allerdings brauchte es dazu meist einer Autoritätsperson. Verstarb diese und gab es keinen die Autorität fortführenden Nachfolger, dauerte es meist nicht lange, bis Bücher und Kunstwerke von den Mönchen in bare Münze umgesetzt wurden und sich der allgemeine Niedergang der Klostertradition fortsetzte.
Fabeltiere symbolisieren Aspekte spiritueller Alchimie
(Bild: Trinosophie-Blog)
So ähnlich erging es auch dem Kloster Paulinzella. Zunächst wurde die als Familienstiftung geführte Einsiedelei in das Benediktinerkloster „Cella S. Mariae“ überführt. 1106 fand die Weihe durch Papst Paschalis II. statt. Paulina stellte eine weitgehende Unabhängigkeit sicher. Das Kloster war ausschließlich Rom unterstellt und befreit von Abgaben an lokale Fürsten. Im März 1107 verstarb Paulina plötzlich. Doch ihr Sohn Wernher, der als Laienbruder der Gemeinschaft beigetreten war, hielt den Geist Paulinas aufrecht.
Grundlage des Klosterlebens waren die Regeln der „Constitutiones Hirsaugienses“ (Hirsauer Gewohnheiten) von Abt Wilhelm von Hirsau, die ein auf Disziplin und Gehorsam ausgerichtete Klosterleben vorsahen. Das Regelwerk enthielt auch Hinweise zur Architektur von Kirchen und Klosteranlagen. 1122/23 wurden Paulinas Gebeine in den vorgeschrittenen Bau der Klosterkirche überführt und bestattet. Aus „Marienzelle“ wurde von da ab allmählich „Paulinzelle.“
1124 fand die feierliche Einweihung der Klosterkirche statt. Um 1160 soll der Bau schließlich vollendet worden sein. Bis um 1500 entwickelte sich das Kloster zu einem prosperierenden geistigen Zentrum. Es wirkte aber auch wirtschaftlich gestaltend in der Region. Der Besitz und das weltliche Vermögen wurden durch Schenkungen und erfolgreiche Wirtschaftstätigkeit erheblich vergrößert.
Klosterruine – Detailansicht (Bild: Trinosophie-Blog)
Irgendwann um 1500 setzte dennoch der Niedergang ein. 1458 erfolgte der Anschluss an die „Bursfelder Kongregation,“ einer zeitgemäßen Reformbewegung innerhalb des Benediktinerordens (*). Während der Bauernkriege, ab 1524, kam es zu Plünderungen durch Aufständische. Im Jahre 1534 dann die Aufhebung im Zuge der Reformation, jetzt im Lutherschen Sinne.
Den Klosterbesitz zog der Graf von Schwarzburg ein. Die Klosteranlage diente als Steinbruch für Burgbauten in der Region. Erst Anfang des 19. Jh. erfolgte die Sicherung der baulichen Reste. In Gemeindearchiven der Region wurden im 20. Jh. Papiere gefunden, von denen man annimmt, sie könnten dem Alter nach aus der Bibliothek des Klosters stammen. Benutzt wurden sie als Schmierpapier für amtliche Notizen…
Zeitloses Symbol des Vergänglichen
Die wenigen verbliebenen Details der kunstvollen Architektur und Dekoration lassen erahnen, dass hier ein Ort tiefer spiritueller Praxis war. Am oberen Ende der Langhauspfeiler finden sich gut erhaltene Fresken mit Figuren, ähnlich wie bei gothischen Kathedralen. Es liegt also die Vermutung nahe, dass auch der Klosterbau in Paulinzella in Stein gehauene Symbolik der spirituellen Alchimie war.
Fast 400 Jahre konzentrierte Spiritualität macht einen Platz zum Kraftort. Es ist nicht ganz leicht, das Kraftfeld wahrzunehmen. Die Klosterruine ist eine touristische Attraktion. Obwohl nicht überlaufen, findet sich nur in der Dämmerung oder bei regnerischem Wetter die Gelegenheit, einmal eine halbe oder auch ganze Stunde in Stille zu verweilen. Eine Übung, die sich lohnt!
(*) Die „Bursfelder Kongregation“ war eine benediktische Reformbewegung. Ihr Zweck war es, durch ein Regelwerk, dessen Einhaltung durch unangemeldete Kontrollen überprüft wurde, den religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Niedergang des Klosterlebens zu stoppen. Klöster sollten wieder Orte werden, an denen christliche Werte GELEBT wurden. Durch eigene Arbeit der Klosterinsassen und durch effiziente Verwaltung der Einnahmen sollte die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Klöster sichergestellt werden. Einer der renommiertesten Vertreter dieser Bewegung war Johannes Trithemius (1462-1516). Trithemius wurde durch seine STEGANOGRAPHIA – eine okkulte Geheimschrift – berühmt. Er verfasste zudem alchemistische Traktate und besaß hellseherische Fähigkeiten. Das alles zusammen ließ ihn nach einer Verleumdung beinahe Opfer der Inquisition werden. (Anm. d. Redaktion)
Linksunten:
Ostthüringische Gemeinde Rottenbach/Paulinzella
Zuletzt aktualisiert: 10.08.2007 von Heinz Knotek