Ein spannender Biografie- und Historienkrimi zu Nikolai Roerich
Nikolai Roerich (1874-1947). Abb.:
Einband des besprochenen Buches
Was ist ein Okkultist? „Eine Biografie erschließt den Maler und Okkultisten Nikolai Roerich…1“ – so die Headline einer großen Zeitung zu ihrer Rezension eines Werkes, das eher ein Biografie- und Historienkrimi ist. Bezüglich Roerichs Okkultismus-Neigung beweist das Buch von Ernst von Waldenfels eher das Gegenteil. Der russische Maler Nikolai Roerich wäre gern einer gewesen. In Wirklichkeit war er das traurige Opfer des „Familienorakels Morya“, eines astralen Dämonen, der sich jahrzehntelang über die mutmaßlich lädierte Psyche seiner Frau Helena vermittels Rücken von Tischen, Visionen und automatischem Schreibens manifestierte. Ein Wahn, dem neben Roerich noch zahlreiche andere Menschen erlagen und bis heute erliegen.
Roerich entschleiert
In Anlehnung an den neutheosophischen Klassiker Isis entschleiert2 könnte man das Buch von Ernst von Waldenfels auch Roerich entschleiert nennen. Die 1877 erschienene Isis diente dem Zweck mit spiritistischen Klischees und religiösen Mythen aufzuräumen und die Tatsachen hinter den Mythen zu beleuchten. Die gleiche Wirkung hat die gründlich recherchierte Biografie Roerichs, einer „bizarren Gestalt des 20. Jahrhunderts3“. Auch heute noch verkaufen sich die in schwärmerischem Pastell gehaltenen Fantasielandschaften Roerichs in Esoterikläden als Postkarten bestens. Man meint weise Männer aus dem Himalaya zu erkennen, die theosophischen Mahatma, magieaktive buddhistische Lamas und selbst den nächsten Messias Maitreya. Man meint fast zwangsläufig, dass der Maler dieser Szenen all das mit eigenen Augen gesehen haben muss, ja womöglich selbst so ein magieaktiver Lama oder zumindest persönlicher Schüler von einem dieser Mahatmas ist.
Alles Täuschung – das die bittere Wahrheit, die man jedoch auch so schon bei genauem Hingucken hätte erkennen können. Tatsächlich lassen sich auch Gestalten erkennen, die stark an Rotarmisten, den Diktator Lenin und Roerich selbst erinnern. Lange Zeit buhlte Roerich um die Gunst der neuen Machthaber in seiner Heimat Russland. Lenin stilisierte er in schwülstigen Pamphleten zum „Mahatma“ und allen Ernstes meinte er ausgerechnet mit Hilfe des sowjetischen Geheimdienstes in Asien eine Art buddhistischen Staat von sowjetischen Gnaden gründen zu können. Diesem Shambala sollte natürlich niemand Geringerer als er selbst vorstehen. Doch das war nur der geplante Beginn. Das Ziel war die Inthronisierung als zukünftiger Weltführer, eine Art globaler Dalai Lama, mit dem heiligen Mandat der „wahren Weltregierung“, einer Gruppe weiser Männer, die irgendwo im Himalaya versteckt leben sollten.
Später ließ Roerich nichts unversucht, diese unheilige Anbandelung mit den roten Herrschern zu vertuschen und sich stattdessen als schon immer überzeugten Gegner der Bolschewiken darzustellen. Ständig sich trickreich wandelnde Loyalitäten waren das prägende Merkmal des von Roerich mit Vehemenz forcierten Kultes um seine Person. Schließlich sollte nicht nur ein vermögender Banker unter diesen Einfluss geraten. Durch raffiniert eingefädelte „Eulenspiegeleien“, schlichte Lügen und subtile Intrigen gegen Widersacher erlangte Roerich teilweise Zugang zu höchsten Regierungskreisen in den USA. Größenwahn und Realitätsverlust ließen Roerich nicht erkennen, dass sein Spiel früher oder später durchschaut werden würde. Er und seine Anhänger sollten denn auch bald als „reklamesüchtige Kunstsekte“ verschrien und gemieden werden. Hier nun kommt Ehefrau Helena ins Spiel.
Sie leidet an einer Nervenkrankheit … Eine Person, die unter dieser Krankheit leidet, hört oft irgendeine unsichtbare Stimme und sieht irgendwelche Gegenstände
Rational ist nicht zu erklären, was Roerich antrieb, wie er sich etwa in immer neue absurde teure Exkursionen in Asien stürzen konnte und dabei zeitweise sogar Zwistigkeiten zwischen Staaten auslöste. „Ohne Wissen um die Rolle Moryas war es für einen Außenstehenden unmöglich, das Leben der Roerichs zu entziffern.“ Ein Arzt der Familie gibt zu Protokoll: „… was Frau Roerich angeht, so muss ich sagen sie ist ein kranker Mensch. Sie leidet an einer Nervenkrankheit … Eine Person, die unter dieser Krankheit leidet, hört oft irgendeine unsichtbare Stimme und sieht irgendwelche Gegenstände…“ Noch im zaristischen Russland soll sich Helena einer Hirnoperation unterzogen haben. Der sie damals behandelnde Arzt war auch der einzige im Umfeld der Roerichs, der sich nie von den täglichen Anweisungen des „Hausorakels Morya“ beeindruckt zeigte. Tatsächlich hingen die Familie Roerich und der Kreis unmittelbarer Anhänger am Tropf der täglichen Durchsagen von Helenas Dämonen. Dass Helena dafür nicht erneut im Krankenhaus landete, sondern die astralen Ergüsse gierig aufgesaugt wurden ist allein dem Umstand geschuldet, dass sich der Dämon oder die Dämonen mit dem Namen MORYA tarnten und sich Helena mit weiblicher Inbrunst als spirituelle „Mutter“ und exklusive Botschafterin der theosophischen Mahatmas inszenierte.
Ihr „Dämon Morya“ packte alle an ihren Eitelkeiten und versteckten Begierden. Nicht nur verschwendete Nikolai im Auftrag dieses Spuks sein künstlerisches Genie in immer gleiche Pseudeo-Tibet-Abstraktionen. Die unter dem Titel AGNI YOGA zusammengefasste und – wie im Buch nachgewiesen wird – nachträglich reichlich geschönte Durchsagenflut an exaltierten Phrasen, nichtssagenden Gemeinplätzen und pseudowissenschaftlichen Thesen haben die Jahrzehnte hindurch immer wieder viele Menschen für ernst genommen. Sucher, die diesen Schwulst hinterfragten und etwa mit den echten Mahatma-Briefen verglichen, konnten die Blendung jedoch leicht durchschauen. Intelligente Menschen mit geringem esoterischen Bezug haben sich einfach kopfschüttelnd abgewandt.
Pseudo-buddhistische Schwärmereien
Das Buch ist aber eben auch ein aufklärender Historienkrimi. Wer weiß schon von den pseudo-buddhistischen Schwärmereien manch bolschewistischer Revolutionäre in der Gründerzeit der Sowjetunion? Oder wer weiß von den bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen reichenden Feindseligkeiten zwischen den Anhängern des Dalai- und Panchen-Lama in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg – ein Aspekt der nicht unwesentlich für die heutige Entwicklung in Tibet prägend ist? Theosophen schließlich düften sich einmal mehr mit der Frage konfrontiert sehen, wie sie es mit ihren Führern halten, die sich im Stile Helena Roerichs via „empfangener Botschaften“ und „astraler Begegnungen“ als exklusive Gesandte der echten Mahatmas inszenierten, dadurch Heerscharen von Suchern in die Irre führten und die Weisheitslehren für unabsehbar lange Zeit unvereinbar mit wissenschaftlichem Denken und Handeln gemacht haben. Karma! HEINZ KNOTEK
Ernst von Waldenfels: Nikolai Roerich. Kunst, Macht, Okkultismus.
Osburg Verlag, Berlin 2011. 560 Seiten, 26,50 Euro
Zuletzt aktualisiert: 04.03.2012 von Heinz Knotek