Erst unerwartetes schweres Leiden lässt uns einhalten und nach dem WARUM fragen. Wenn sich – wie bei dem rein kommerziellen Unternehmen „Loveparade“ in Duisburg – die Menschen bei strahlendem Himmel und in freudiger Erwartung eines kollektiven Glücksgefühls erwartungsvoll zusammenfinden, dürften einzelne Frager nach dem WARUM schnell als verklemmte Miesepeter verschrien werden.
Loveparade 2006 in Berlin. Foto: Denis Apel (Stardado)
Und doch hätten in Duisburg 19 Menschenleben gerettet werden können1, wenn Verantwortliche UND Publikum beizeiten über das WARUM nachgedacht hätten.
NIEMAND kann eine befriedigende Erklärung bieten
Die bohrende Frage WARUM führt direkt zu den treibenden Kräften dessen, was allgemein als „Schicksal“ bezeichnet wird. NIEMAND kann eine befriedigende Erklärung bieten. Weder der alte Mann in Rom, der als Papst ungefragt für die Opfer betet. Und auch die Psychologen nicht, sie wenigstens können mentale Techniken anbieten, wie sich mit Verlust und Trauer einigermaßen zurechtkommen lässt. Und nur peinlich abstoßend wirken jene Politiker, die wie Aasgeier angeflattert kommen, um sich an den Toten mit leeren salbungsvollen Worten auf die Schnelle selbst in Szene zu setzen2.
Die Weisheitslehren kennen die Kategorie „Schicksal“ nicht. Hier wird allein das Naturgesetz Ursache und Wirkung betrachtet – auf Sanskrit KARMA. Was aber ist das Karma eines Menschen, der bei einer Tanzveranstaltung erbärmlich und scheinbar sinnlos zugrunde geht? Hätte derjenige seinem Karma entkommen können? Die Antwort ist eindeutig: Ja, er hätte, theoretisch zumindest. Wäre sein Wunsch, Lebenszeit und Energie für einige Stunden kollektiven Rauschs zu opfern, „ausgetrocknet“ gewesen, würde es kein Bedürfnis gegeben haben, sich dem Massenwahn hinzugeben. Doch der Wunsch war nicht „trocken.“ Wie bei den anderen mutmaßlich 1,4 Millionen Besuchern. Nur dass bei 19 von ihnen zusätzlich der Zeitpunkt des Tabula rasa ihrer Seele gekommen war. Jedes Ende ist zugleich der Beginn von etwas Neuen. In ihre nächste Inkarnation werden die Opfer von Duisburg vermutlich eine tief sitzende Abneigung gegen Massenveranstaltungen mitbringen – ein wichtiger Schritt zum seelischen Wachstum.
Doch auch für die nahen und fernen Zeugen könnten die schockierenden Bilder den Kern einer Lektion in sich tragen und Fragen entstehen lassen, die sonst nicht gestellt würden. Brechen Krankheit und Tod in unseren Alltag ein, fragen wir betroffen – oft sogar empört – WARUM? Aber warum fragen wir erst DANN nach dem WARUM? Warum fragen wir nicht auch dann nach dem Sinn, wenn es uns einigermaßen gut geht?
Warum lebe ich in einem friedlichen reichen Land?
Warum bin ich gesund?
Warum lebe ich überhaupt?
So wie sich bei Leid innerlich Empörung rührt, so könnte sich bei diesen Fragen ein Gefühl von Dankbarkeit entwickeln. NICHT Dankbarkeit gegenüber einem hypothetischen Schöpfer, sondern Dankbarkeit gegenüber dem einen göttlichen Prinzip von dem jedes einzelne Wesen eine Manifestation ist. Dank auch dem eigenen SELBST. Denn wer gerade in einem friedlichen Land lebt, gesund ist und eine Perspektive hat, hat die Ursachen dafür letztlich in früheren Existenzen selbst gesetzt. Volkstümlich könnte man von „gutem Karma“ sprechen.
Sonnenuntergang (hier auf Helgoland); zugleich Hinweis für den naturgesetzlich folgenden nächsten Sonnenaufgang. Der Lauf der Sonne gilt als zeitloses Symbol der Seelenreise durch die Inkarnationen. (*)
„Gutes Karma“ wird sicher auch dann erzeugt, wenn man selbstbewusst erkennt, dass alle Formen von Betäubung erdbindend sind und damit der seelischen Entfaltung zuwider laufen. Der Pilger auf dem Pfad wird sich daher von allen Formen kollektiven Wahns fernzuhalten versuchen. Den Seelen der Opfer von Duisburg wird jetzt überall wohlmeinend der volkstümliche Spruch „Ruhe in Frieden“ gewidmet. Nützlicher ist es, ihnen den Wunsch zu widmen, die Lektion dieses Lebens gut zu verinnerlichen. Und ihnen in dem Sinne GLÜCK auf ihrem Pilgerpfad zu wünschen.
In diesem Leben ist schon
die Staatsanwaltschaft an der Sache dran
Aber auch bei den Verantwortlichen macht KARMA keine Ausnahme. Wenn Rainer Schaller, Veranstalter der Loveparade und Betreiber einer Billig-Fitnesskette, pathetisch verkündet, er würde solche Veranstaltungen zukünftig nicht mehr anbieten, soll damit eine Art ausgleichendes Opfer für das „tragische Unglück“ suggeriert werden. Der Mann hat mit seinen Events Millionen gemacht. Ein Ende der Loveparde ist das Ende einer längst ertragreich amortisierten Investition unter anderen. Die Süddeutsche Zeitung zitiert den Großveranstalter Marek Liebermann:
Wieso lässt man die Verantwortlichen dieses Geschwätz durchgehen? Wieso nehmen die Medien das auf? Was am Sonntag in Duisburg passiert ist, das ist ein Verbrechen … Befruchtet haben sich nun: die Geltungssucht der Lokalpolitiker und die Profitsucht der Veranstalter… (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 26. Juli 2010).
Das Gesetz von Ursache und Wirkung, Karma, wird es richten. In diesem Leben jedenfalls ist schon mal die Staatsanwaltschaft an der Sache dran.
Linksunten:
Rainer Schaller: „Ich bin hundert Prozent risikobereit“
(*) Text/Bild: KÔ-SEN
- Stand Redaktionsschluss ↩
- Bemerkenswert aussagekräftig das Auftreten von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Erstere – als Landeschefin direkt zuständig – besucht den Unglücksort in stiller zurückhaltender Trauer. Letztere ergreift mehrfach begierig die gute Gelegenheit, sich in den Medien mit betroffener Gesichtsmaske und bekannt unverbindlicher Rhetorik positiv in Szene zu setzen. ↩
Zuletzt aktualisiert: 28.07.2010 von Heinz Knotek
http://www.sueddeutsche.de/politik/loveparade-rainer-schaller-heftige-vorwuerfe-gegen-veranstalter-der-loveparade-1.980628