Mit Original-Artikel der Zeitschrift THE THESOPHICAL MOVEMENT (Mumbai/Indien)
Ohne aufnahmewillige Schüler
nützt der beste Lehrer nichts.
Vignette: Heinrich Khunrath1,
1602, Privatbesitz
Lehrer, mit denen man im Lauf seines Lebens offiziell zu tun hat – sei es in der Schule, beim Studium oder im Beruf – werden einem vor die Nase gesetzt. Man hat dabei entweder Glück oder nicht. Glück hat man dann, wenn der Lehrer (1) ein breites Wissen mit Tiefgang besitzt und Wissen zudem (2) methodisch geschickt zu kommunizieren vermag.
Ist er zudem (3) auch noch ein Humanist im Denken und Handeln kann man als Schüler oder Seminarteilnehmer im wörtlichen Sinne etwas „für das Leben“ lernen. In spirituellen Angelegenheiten lässt sich die Aufgabe eines Lehrers genau so gliedern. Man ahnt jedoch, dass eine humanistisch geprägte Lebenshaltung im Sinne eines „nice to have“ nicht ausreicht. In ihrer August-Ausgabe 2010 hat das indische Magazin THE THEOSOPHICAL MOVEMENT in einem inspirierenden Artikel die Aufgaben eines spirituellen Lehrers untersucht.
Die Aufgabe eines Lehrers
Erschienen in THE THEOSPHICAL MOVEMENT2, August 2010
Wir alle wissen – um eine bestimmte Leistung erbringen zu können, muss man zuvor entsprechend gelernt und trainiert haben. Unsere nötigsten materiellen Grundlagen sind Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Unsere emotionalen Grundbedürfnisse sind komplexer und breiter gefächert. Aber vereinfacht ausgedrückt betreffen sie im Wesentlichen Sinnengenuss und Schmerzwahrnehmung. Wäre der Mensch lediglich durch diese Kriterien – materielle Grundbedürfnisse und emotionale Befindlichkeit – gelenkt, ließen sich unsere Probleme relativ einfach handhaben. Tatsache ist; nimmt man die Menschheit als Ganzes und leitet daraus eine Art „Durchschnittsmensch“ ab, dann lassen sich leicht pauschale Schlüsse ziehen. Betrachtet man jedoch den Einzelnen, ergibt sich eine verwirrende Komplexität. Wir finden dann, dass sich der Mensch in einer Art dritten Dimension oder Daseinsebene bewegt, jenseits der Daseinsebene, wo instinktiven und materiellen Reaktionen vorherrschen.
Der Mensch ist ein „Denker,“ ein DENK-WESEN. Er betrachtet materielle und emotionale Umstände und wägt ab. Selbst sein Denken selbst überdenkt er. Es ist ihm möglich, sich bewusst in einen Dialog aufzuspalten, um objektiv und subjektiv gegeneinander abzuwägen.
Es braucht Zeit, um auf diese Weise mit sich ins Gespräch zu kommen, um für eine anstehende Entscheidung aus zurückliegenden Erfahrungen mögliche Konsequenzen abzuleiten. Der Mensch trägt in sich – in seinem Erinnerungsvermögen – ein Schatzhaus an zurückliegenden Beobachtungen und Erfahrungen. Als Entscheider liegt es an ihm, die Gegenwart unter Kontrolle zu haben oder nicht. Allgemein gesprochen – in dem Maße wie er diese Fähigkeit entwickelt, werden Entscheidungen mehr und mehr bewusst unter dem Blickwinkel eines „guten Ausgangs“ gefällt. Damit wird zumindest eine Dreigliedrigkeit des Menschen sichtbar:
- physisch (Körper),
- gefühlsmäßig (instinktive Wahrnehmung) und
- mental (Erinnerung-Entscheidung-Vorhersage)
Als mentales Wesen ist der Mensch ein Entscheider. Ihm wird bewusst, dass er ein Kind seiner Vergangenheit ist, in seinem Körper lebt und dass beide Aspekte ihm Schranken setzen. Doch als voranschreitendes Individuum weiß er intuitiv, dass seine jetzigen Entscheidungen seine Zukunft angenehm (Freude und Genuss) gestalten werden oder eben unangenehm (Leid und Schwierigkeiten).
Die Aufgabe eines Lehrers – oder eines Mitmenschen, der etwas weiser und erfahrener als der Durchschnitt ist – besteht darin,
- dass er das Bewusstsein des Menschen auf diese eigentlich angeborene Haltung hinlenkt;
- dass er ihm klar macht, wesenhaft sogar MEHR als nur „Denkvermögen“ zu sein;
- dass er vermittelt: das Denkvermögen selbst ist ein Werkzeug oder Instrument, …
- das der „wahre Mensch“ mit seinem Willen gezielt einsetzen kann.
Es heißt, die GROSSEN LEHRER würden die Fähigkeit ihrer Schüler zu selbständigem Lernen erwecken und fördern, indem sie ihnen zeigen, dass alle Kräfte im Menschen vorhanden sind, man sich nur ihrer bedienen, sie kontrollieren und verfeinern muss. Sie bedienen sich einfacher Bilder, damit Schüler selbst erkennen können, dass sie WAHRNEHMENDE sind, einen angeborenen göttlichen Wesenskern besitzen, als Seele unsterbliche Wesen sind, eine voranschreitende Kraft darstellen, ein Atom unerschöpflichen Lebens sind, ein zweckgerichteter Bestandteil einer großen Entwicklung sind.
Die Seele ist androgyn (geschlechtsneutral) und das Y symbolisiert den Scheideweg, den JEDE Entscheidung im Leben darstellt. Der Bischof symolisiert den LEHRER, der dem Schüler zu Selbsterkenntnis führt. Grafik: Michael Maier, Symbola aureae mensae, 1617
Die GROSSEN LEHRER sprechen von zwischenmenschlichen Beziehungen die von Zusammen=Arbeit und Harmonie geprägt sind. Sie vermitteln, dass die Natur großzügig und großmütig ist; dass sich jeder stets sicher wähnen kann, wenn er MIT IHR zusammen arbeitet; dass alles vorhanden ist, man es nur annehmen und anwenden muss.
Der Mensch ist seinem Wesen nach unsterblich
Sie sagen, dass Harmonie und Gleichklang überall gesetzmäßig Ursachen und Wirkungen zum Ausgleich führen. Sie sprechen über Nächstenliebe, Toleranz und Liebe; da sie sich nicht von vorübergehenden regionalen Beschränkungen eingrenzen lassen, die von persönlichen Emotionen wie Gier, Zorn oder Hass geprägt werden.
Sie sprechen von der Evolution des Universums, einem einheitlichen Ganzen, einer weiten Entität, von den verschiedensten „Intelligenzen“ erschaffen, von denen der Mensch eine ist. Der Mensch, sagen sie, ist seinem Wesen nach unsterblich. Sein Körper wird durch das ganze Universum gebildet, energetisiert, sensibilisiert und verfeinert zu noch höheren Graden von Materie und Bewusstsein.
Die GROSSEN LEHRER – Seher, Propheten, Weisen, Hierophanten, Adepten, Helden, Mahatmas – wie immer man sie benennen mag, sind für den Menschen der lebendige Beweis, dass auch für ihn tiefere Verfeinerungen seines Wesens und die Erlangung höherer Ziele für ihn offen stehen. Das was er in sich latent vorhanden weiß, mag ihn dazu führen, Talente und besondere Fähigkeiten zu entwickeln, wie sie die GROSSEN zur vollen Entfaltung gebracht haben. Was der Mensch einmal vollbracht hat, das kann er wieder vollbringen; und empfehlen sich selbst den Suchern und Strebenden als Beleg dafür.
Der WAHRE Schüler eines WAHREN Lehrers wird am Ende IMMER sich selbst überlassen bleiben. Im GRABEN der Materie einigermaßen sicher, läutert er sich selbst, um den passenden Moment für den Aus- und Aufstieg nicht zu verpassen. Grafik: J. D. Mylius, Phillosophia reformatas, 1622
Weder ist es die Aufgabe eines LEHRERS seine Schüler anzutreiben oder mitzuziehen oder zu formen, noch sie mit Wissen vollzustopfen. Vielmehr hat er als Vorbild zu korrigieren und Mut zuzusprechen. Der Schüler ist Fragender. Der Lehrer antwortet solange, bis die Fähigkeit des Schülers Dinge selbst zu begreifen entwickelt ist. Er führt den Schüler zu einer weiteren Aussicht auf Zukünftiges, zu einer tieferen Durchdringung der Ursachen von bestehenden Umständen und zu mehr Scharfsinnigkeit bezüglich eigener Fähigkeiten und Möglichkeiten weise und bedeutungsvolle Entscheidungen zu fällen.
Ein spiritueller Lehrer würde Abstand davon nehmen, einen Schüler mit strikten Anweisungen was wann und wie zu tun ist anzuleiten. Er würde niemals zulassen, dass dem Schüler eine Gelegenheit entgeht, bei der er seine Muskeln stärken kann. Er würde niemals dem Schüler seine Souveränität stehlen wollen, selbst zu entscheiden, was ihn zu einem GOTT machen könnte.
Das Vertrauen und die Liebe, die zwischen spirituellem Lehrer und Schüler besteht, hat auf das Denkvermögen des Schülers eine inspirierende und klärende Wirkung. Wenn die echte Verbindung zwischen ihnen aufgebaut ist, findet eine Art „innere Osmose“ statt und das Wissen des Lehrers strömt aus dessen Bewusstsein in das reine Bewusstsein des Schülers. Es heißt, der Schüler würde dann zu einer Art Vorposten des Bewusstseins des Meisters werden. Das heißt, dass die beider Bewusstsein in einer wohl ausgeglichenen Weise zusammenarbeiten.
Der LEHRER hilft dem Schüler, sich selbst zu bestätigen, dass der „Menschen-Geist“ eins ist mit dem ÜBER-SELBST – der EINEN QUELLE allen Lebens, allen Bewusstseins, allen Seins. Er ermutigt den Schüler, sein Wissen zu benutzen, um seine Handlungen zu transmutieren, seine Emotionen und sein Denken zu veredeln und in den alltäglichen Angelegenheiten als praktische Tugend, Altrusimus, intuitive Wahrnehmung lebendig einzubauen.
FUNCTION OF A TEACHER3
THE THOSOPHICAL MOVEMENT, Vol. 2, No. 4, August 2010
WE all recognize that learning is the basis of any achievement. One’s essential physical needs may be classified as food, clothing and shelter. Our emotional needs are more complex and cover a whole gamut, but broadly they may be classified under the headings of pleasure-sensations and pain-sensations. If man were limited to these alone, the physical requisites and emotion-sensitivities, our problem would be relatively simple and social definitions would be easy. In fact, taking man in the mass, the common man, broad conclusions can be made. But, when we consider the individual, greater perplexities arise. We find that there is a third dimension, or plane, on which man functions, which sets him apart from the instinctual or conditioned physical response.
Depiction of Bhagavad Gita – philosophical discource by Krishna (teacher) to Arjuna (pupil) at the entrance to Tirumala. © Raji.srinivas
Man is a “thinker” or a mind-being. He considers and reviews situations, physical, and even emotional. He also thinks about thinking. He is consciously able to bifurcate himself in a dialogue, into subjective versus objective position.
It takes time to assume this interlocutory pose, to review past experience, to anticipate the future consequences that might result from immediate decisions. Man finds in himself, in his memory, a storehouse of past observations and experiences. In his capacity as a decision-maker he controls, or does not control, his present. Generally, as this ability is refined, decisions are made consciously with a view to a “better” future for his being, which we now see is at least threefold: physical (body), sensitive (emotion-instinct) and mental (memory-decision-anticipation).
Man, as a mental being, is a chooser. He sees that he is a creature of his past, living in his body, and this limits him. But, as an ongoing individual, he knows intuitively that his decisions made now will shape his future to ease (pleasure) or dis-ease (pain and trouble).
The function of a Teacher, or one wiser and more experienced than the generality of mankind, is to draw man’s awareness to this innate position; to demonstrate to him that he must be in essence even more than “mind”; that mind itself is an instrument or tool that the “real man” can direct at will. The Great Teachers are said to induce in their pupils the capacity to learn for themselves, by showing that all the powers are potential in man but need usage, control and refinement. They draw on the natural universe for illustrations to show how each can prove for himself that he is a Perceiver, an innately divine, immortal being, an ongoing force, an atom of inextinguishable life, a purposive element of the general progressiveness.
The Journey to the West (Die Reise in den Westen), eine der inspiriertesten und zugleich unterhaltsamsten Lehrer-Schüler-Legenden. Die fünf Elemente werden unter buddhistischer Anleitung auf einer langen Pilgerreise transmutiert. Bild: Kô-Sen
The Great Teachers speak of human relationships that ought to work in co-operation and harmony. They show that Nature is bountiful and generous; that each one will always secure that which he desires—if he works for it; that it is already there waiting to be attained and used.
They speak of Law operating as harmony everywhere through the balancing of cause and effect. They speak of charity, tolerance and love, because they do not limit themselves to temporary, territorial restrictions that are bounded by greed, anger or hate of a personal and emotional sort.
They speak of the evolution of the Universe as a whole, a vast Entity made of “intelligences” of various types and grades—and man is one of these. Man, they say, is immortal in his essence, his body being of the stuff of the universe, energized, sensitized and refined into ever higher degrees of matter and consciousness.
The Great Teachers—Sages, Prophets, Magi, Hierophants, Adepts, Heroes, Mahatmas—by whatever name designated, stand as evidence to man that there are deeper refinements and higher attainments open to him. That which he feels to be potential in himself may lead him to talent and genius, which in the Great Ones has been made fully manifest. What man has done, man can do, they say—and offer themselves and their findings as evidence to those who enquire and aspire.
A Teacher’s function is not to push or pull or mould his pupil, or to pour vast masses of knowledge into him, but rather to adjust and to encourage by example. The pupil is the enquirer; the Teacher answers to the extent that the pupil’s capacity to understand has been self-developed. He leads the pupil to a wider vista of the future, to a deeper penetration of the cause of circumstance, and to a more acute awareness of the pupil’s own capacities and potentialities to make meaningful and wise decisions.
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Ravi & Anoushka Shankar4 – Raga Anandi Kalyan
A spiritual Teacher would abstain from guiding the pupil through clear-cut instructions as to what and how to do. He would never deprive the pupil of the opportunity to strengthen the muscle of Will. He would never steal from the pupil his sovereign power of choice, which could make of him a God.
The faith and love that exist between a spiritual Teacher and disciple act as a stimulus and purifier for the mind of the disciple. When the true link is established between them, there is an inner osmosis, and knowledge flows from Teacher’s consciousness to the pure consciousness of the disciple. We are told that the disciple becomes the outpost of Master’s consciousness, i.e., his consciousness is not encapsulated—the two consciousnesses work in a well-synthesized way.
The Teacher helps the disciple to prove to himself that “man-spirit” is one with the Over-Self—the One Source of all life, all consciousness, all being. He encourages the pupil to use this knowledge to transmute his actions, to refine his emotions and his thinking, and to build them into a life of practical virtue, of altruism, of intuitive perception in everyday affairs.
Linksunten:
ULT INDIA – books and periodicals
(Redaktion/Übertragung aus dem Englischen: Heinz Knotek)
- Engl.: What use are torches, light or eyeglasses, if people will not see? Aus: Amphitheatrum sapientiae ↩
- Übertragung aus dem Englischen mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. ↩
- Original Print-Version, Publikation mit freundlicher Erlaubnis des Herausgebers. ↩
- Ravi & Anoushka Shankar – seltener Fall, wo der leibliche Vater zugleich künstlerischer UND spiritueller Leher der Tochter ist. ↩
Zuletzt aktualisiert: 01.01.2011 von Heinz Knotek