Natürlich besitzt Helgoland keinen heiligen Berg; und einen mit buddhistischem Kloster schon gar nicht. Es gibt eine schöne evangelisch-lutherische Kirche, die an die im Zweiten Weltkrieg zerstörte alte Seefahrerkirche erinnert und die kleinere römisch-katholische St.-Michaels-Kirche. Berge gibt es auf Helgoland auch nicht. Es sei denn, man betrachtet das Oberland als „Berg“. Tatsächlich befindet sich hier der „Pinneberg“, die mit 63 Metern höchste Erhebung des gleichnamigen Landkreises, zu dem Helgoland gehört.
Der Strand der Düne kann sich bestimmt
mit dem Tausend-Schritte-Strand
von Putuo Shan messen
Und doch weht auf Helgoland der Geist von Putuo Shan1. Auf dem Inselberg Putuo Shan im Ostchinesischen Meer soll der Legende nach ein indischer Mönch um 850 herum das Bild des „Bodhisattvas des Mitgefühles“, Bodhisattva Avalokiteshvara, so erfolgreich visualisiert haben, dass eine astrale Manifestation dieses weiblichen Bodhisattvas mit ihren tausend Armen zu beobachten war. Der Mönch schloss daraus, sich an einem außergewöhnlichen Kraftort zu befinden. Seitdem ist die Insel den Chinesen heilig. Heilig ist den echten Helgoländern ihre Insel auch. Und das Visualisieren der Bodhisattva Avalokiteshvara liegt an jedem selbst.
Helgoland ist Deutschlands einzige Hochseeinsel. Wie Putuo Shan ist Helgoland nur mit Fähren zu erreichen. Steht man am Ufer von Hauptinsel und Düne sieht man nichts als Wasser. Nicht so auf Putuo Shan, wo das Festland zum Greifen nahe ist. Das etwa 75 Kilometer entfernte Cuxhaven verschwindet selbst bei bester Fernsicht hinter der Erdkrümmung. Sind nach 16 Uhr die Tagestouristen verschwunden ist Helgoland selbst in der Hauptsaison und trotz ausgebuchter Quartiere nicht überlaufen. Der Strand der Düne dürfte sich mit seinem feinen, goldfarbenen Sand, der an manchen Stellen beim Barfußlaufen einen hohen Ton erzeugt, leicht mit dem Tausend-Schritte-Strand von Putuo Shan messen.
Helgoland ist NUR mit Fähren zu erreichen. Die MS ATLANTIS etwa benötigt zwischen zwei und zweieinhalb Stunden für die Verbindung nach Cuxhaven. (*)
Weit und breit kein Motorengeräusch. Hin und wieder surren kleine Elektrofahrzeuge leise vorbei. Auch Fahrräder gibt es nicht. Eigentlich dürften auch keine Tretroller benutzt werden. Doch hier setzen sich manche Egoisten über das Verbot hinweg, wohl wissend, dass sich die um Besucherzahlen sorgende Gemeinde nicht trauen wird, das Rollerverbot auch durchzusetzen.
Erstaunlicherweise wird es NIE langweilig. Schon nach ein paar Tagen erkennt man einzelne Einheimische und Gäste wieder. Begegnet man sich beim Schlendern in der kleinen Fußgängerzone, am Südhafen oder am Strand der Düne, grüßt man sich und kommt oft schnell ins Gespräch. Die Helgoländer lieben Ihre Tradition, sind aber nicht nationalistisch. Schließlich war Helgoland vor gut 120 Jahren noch englische Kronkolonie. Fremden begegnen sie offenherzig und freundlich.
Das Oberland liegt auf einem ursprünglich flachen Felsplateau, das aber durch Bombenkrater zum Hügelland wurde. (*)
Alles was es auf Helgoland zu besichtigen gibt, ist in ein paar Stunden erledigt. Hat man erst einmal alles erkundet – auch Aquarium, Helgoland Museum und ehemalige Kriegsbunker – ist es Zeit für den Putuo-Shan-Effekt. Vor einer manchmal im Stundentakt wechselnden See- und Himmelskulisse gibt es NICHTS zu tun. Der dampfende Alltag auf dem Festland ist unerreichbar weit entfernt. Das völlige Fehlen künstlicher Reize für die materiellen Sinne, lässt die inneren Sinne „zu Wort kommen“ – endlich einmal. Immer nur wenige Schritte sind es bis zur langen Anna, dem Wahrzeichen der Insel, einem steil aufragenden einzelnen Felszahn im Norden der Insel. In der Morgen- und Abenddämmerung findet sich hier leicht eine Bank, auf der man allein verweilen und den Blick auf unendlich schalten kann.
Bei Niedrigwasser eröffnet sich überall am Ufer ein beeindruckender Mikrokosmos. (*)
Das Rauschen des Windes, die Schreie der Möwen – das ist alles was zu hören ist. Wer das Meditieren gewohnt ist, wird von ganz allein in den gewohnten Zustand der Meditation gleiten – und darin ungestört dauerhaft verweilen. Ganz ohne Tempel, Schrein und religiöses Ritual wird die Seele andachtsvoll und das Denkvermögen still. Die nach oben und in alle Himmelsrichtungen ins Unendliche reichende Naturkulisse spannt einen heiligen Raum der Stille und Leere auf. Man muss sich dieses heiligen Raumes nur bewusst bewusst werden.
Wer nicht meditiert und den heiligen Dom um sich herum nicht bewusst wahrzunehmen vermag kann dennoch inneren Frieden finden. Das Spiel des Windes, die scheinbare Zeitlosigkeit, die entspannten Menschen um einen herum – all das macht Fühlen und Denken von ganz allein innerlich leer und still. Wenn das keine aktive Erholung ist? Wer aber so weit geht, eine Begegnung mit Bodhisattva Avalokiteshvara zu wagen, dürfte in Deutschland kaum bessere Bedingungen finden als hier: auch im astralen Sinne ist die Luft auf Helgoland klar und rein.
Helgoland mit langer Anna2. (*)
Doch keine Bange – Helgoland ist keine „Esoteriker-Insel“. Es gibt keine „toskanischen“ Verhältnisse. Rein äußerlich ist Helgoland nur eine unaufgeregte Ferieninsel. Die heilige Naturkulisse wird (noch) nicht zum esoterischen Wellness-Kult stilisiert und entsprechend vermarktet . Der heilige Raum präsentiert sich dem sehenden Sucher ganz individuell – unerforscht und unverbraucht. Während die Persönlichkeit gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten heilsame Seeluft und entspannte Atmosphäre genießt, kann die Seele auf sich allein gestellt das unerforschte EINSSEIN mit dem ganzen Universum erkunden. Durchaus möglich, dass dann plötzlich Bodhisattva Avalokiteshvara vor einem steht.
(*) Text/Bild: Heinz Knotek
Zuletzt aktualisiert: 17.10.2015 von Heinz Knotek