Primitiver Russenhass – aus Erfahrung wirksam
Das erste Mal ging noch schief. Bereits 2008 versuchte Arsenij Petrowytsch Jazenjuk die politisch notorisch instabile Ukraine in die NATO zu navigieren, indem er gemeinsam mit Staatspräsident Juschtschenko und Ministerpräsidentin Tymoschenko an Volk und Parlament vorbei schriftlich um Aufnahme in das US-dominierte Militärbündnis bat. Proteste der Opposition mit den für die Ukraine wohl typischen Blockaden von Regierungsgebäuden ließen das Husarenstück scheitern. Vorerst. Der zweite Versuch war nun besser geplant und logistisch generalstabsmäßig vorbereitet. Selbst an eine Kaskade von Dixiklos auf dem Maidan wurde gedacht. Die Russen lieferten langfristig das optimale Zeitfenster. Die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi, als Charme-Offensive Russlands an die Welt inszeniert, würden das Land außenpolitisch sedieren und – ganz beschäftig mit der inneren Sicherheit – militärisch binden. Fast wäre es wieder schief gegangen. Die legitime Regierung Janukowitsch hielt sich länger als erwartet – über Sotschi hinaus.
Primitiver Russenhass – aus Erfahrung wirksam
Kürzlich lief auf einem öffentlich-rechtlichen TV-Kanal eine Sendung über das Ende des Zweiten Weltkrieges und die damit verbundenen Vertreibungen von Deutschen aus den Ostgebieten. Viele der Interviewten hatten als Kinder dabei vor allem panische Angst vor der anrückenden Roten Armee. Die Nazipropaganda erwies sich als wirksam. Russen galten den Nazis gleich mehrfach als „untermenschlich“ – sie waren Bolschewiken, ihre Führung war jüdisch dominiert und unter ihnen gab es jede Menge „Mongolen“. Die Deutschen, die Hals über Kopf mit nur wenig Hab und Gut Richtung Westen flüchteten waren sich bewusst, dass „der Russe“ zu allem Untermenschentum nun auch noch guten Grund zur Rache für die von den Deutschen an der sowjetischen Bevölkerung begangenen Verbrechen haben würde.
Am unteren Bildrand laufen zur gleichen Zeit aktuelle Meldungen über den Bildschirm. Die meisten betreffen den Ukraine-Konflikt. Immer wieder ist von „den Russen“ die Rede, die an- und vorrücken, die angeblich bedrohen, die missachten, die gefährlich sind, denen man – wenn schon nicht mit Waffen so doch wenigstens anders – entgegen treten muss. Der Grundtenor dieser strömenden Meldungen kommt auf frappierende Weise den gleichzeitigen Formulierungen der Zeitzeugen nahe, wenn sie beschreiben, warum sie so schreckliche Angst vor „den Russen“ hatten.
So geht es in den folgenden Wochen weiter. Wie auf einem Volksschulkurs für autogenes Training, wo Teilnehmer sich so lange sagen, „mein Arm ist ganz schwer“, bis er sich vor lauter Schwere nicht mehr bewegen lässt, wird der Öffentlichkeit gesagt: Der Russe ist Schuld, der Russe provoziert, der Russe verhindert nicht, der Russe will destabilisieren, der Russe will einmarschieren. So wie Arme von Praktizierenden von autogenem Training schließlich bleischwer werden, so bekommen plötzlich litauische, polnische, schwedische und finnische Politiker Angst, „der Russe“ könnte womöglich auch bei ihnen einmarschieren.
Arsenij Petrowytsch Jazenjuk, der keinen Hehl daraus zu machen scheint, dass er seinen Job, die Ukraine dem direkten US-amerikanischen Einfluss zuzuführen, dieses Mal erfolgreich zu erledigen gedenkt, der seine täglichen Anti-Russland-Suggestionen ohne Hemmung über den amerikanischen Datenkraken Facebook verbreitet, kurz – der mit US-amerikanischer Hilfe an die Macht geputschte Ministerpräsident setzt den bewährten Völkerhass-Sprech im Stile der Nazipropaganda die Krönung auf, indem er mit groteskem Pathos sich der Opfer des Zweiten Weltkrieges bedient und seinen willigen Zuhörern suggeriert, Russland wolle nunmehr den Dritten Weltkrieg.
Wo bleiben die Mahnungen und Zurechtweisungen der westlichen Politiker? Entgleitet hier ein gerufener Geist der Kontrolle? Mutmaßlich nicht. Mutmaßlich ist das plumpe Zündeln in Europa genaus so exakt der Plan wie das subtile öffentliche Bedienen eines primitiven Russenhasses. Wer die Motive und Hintergründe der Agierenden verstehen will, muss sich lediglich auf die Suche nach dem (den) Nutznießer(n) begeben. HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 05.03.2024 von Heinz Knotek