Wie heute die Demokratie war es damals das Christentum – ihre Protagonisten wähnen sich dazu berufen, die Welt damit zu beglücken. Zur Begründung gibt es nur die erhabensten Argumente: damals ging es um nichts Geringeres als die „Rettung der Seelen“ der Menschen fremder Völker und Länder; heute geht es um „Freiheit und Marktwirtschaft“. Aus der Geschichte weiß man, dass dabei das Christentum als machtpolitischer Trojaner für die nach Weltherrschaft strebende Kurie in Rom missbraucht wurde. Wer sich die Welt nach dem ersten Einmarsch im Irak 2003 anguckt kann wissen: Freiheit und Demokratie wurden und werden als machtpolitischer Trojaner benutzt, um fremde Völker und Länder für einen singulären Weltmacht-Anspruch „reif“ zu machen. Das Zentrum der Weltmacht heißt aber nicht mehr Rom, sondern Washington.
Demokratie – Zweifel an hehren Motiven
Sicherlich – die Demokratie ist das Beste was einem Volk hochindividualisierter Egos wie den Deutschen passieren kann. Und selbst Großbritannien, das Mutterland der modernen Demokratie, das sich in der Post-Thatcher-Ära als Staat mit maroder Infrastruktur und in prekären Verhältnissen lebender Massen gibt, wäre gesellschaftlich noch die bessere Alternative zu einer Diktatur kommunistischer oder faschistischer Prägung. Doch haben die Regierungen der Staaten des westlichen Kulturkreise, für die sich das angloamerikanische Demokratiemodell bislang und über Jahrzehnte als praktikable Staatsform erwiesen hat, deswegen das Recht, ihr Politikselbstverständnis – wie seinerzeit die Römische Kirche ihr Religionsmodell – zum Dogma zu erklären und dessen Übernahme durch andere Länder mit allen – auch völkerrechtswidrigen – Mitteln zu erzwingen? Und wenn ja – mit welchem Recht? Rom berief sich bei der gewaltsamen Christianisierung fremder Kulturen auf den mutmaßlichen Auftrag seines Gottes. Doch auf wen beruft sich Washington?
Gerade Deutschland ist der Beweis dafür, dass das Demokratiemodell auch schnell in die globale Katastrophe führen kann. Wenn die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen nur entsprechend ungünstig sind, kann daraus binnen weniger Jahre eine Nazidiktatur werden: Hitlers Nazis kamen über demokratische Wahlen erst in den Reichstag und dann an die Macht. Wenn sich damals weitsichtige Wehrmachtsgenerale gefunden hätten, gegen die „demokratische Regierung“ eines Adolf Hitler zu putschen – wie die Attentäter vom 20. Juli 1944 würden wir die Putschisten heute als Helden feiern; allerdings vermutlich nur dann, wenn wir auch wüssten, was uns und der Welt dadurch erspart geblieben wäre.
Es gibt also immerhin so etwas wie ein hehres Motiv, dass wir – wie damals unseren Glauben – den Völkern der Welt das Evangelium von „Freiheit, Demokratie, Marktwirtschaft“ predigen, und wenn das nicht überzeugen kann im Zweifel nachhelfen mit Drohnen, Truppen und fünf Milliarden Dollar. Doch gerade Drohnen, Truppen und Milliarden Dollar lassen Zweifel an der Existenz hehrer Motive aufkommen. Wir wissen heute, dass es den Missionaren und Konquistadoren nicht um das Seelenheil von Germanen oder Indios ging. Der christliche Glaube diente als eine Art Trojaner, in dessen Kern sich das Ringen um Machteinfluss (im Falle der Germanen) und die Gier nach Gold (im Falle der Indios) verbarg. Wäre nun das angloamerikanische Demokratie-Evangelium auch so ein Trojaner, was ist dann des Tojaners Kern?
Wie ein Pflug hinter einer starken Zugmaschine noch die härteste Scholle aufbricht und im Zweifel der Pflug eben ein zweites Mal über das Land gezogen werden muss, so bricht seit der US-geführten Intervention in Afghanistan im Herbst 2001 die Verheißung westlicher Konsumfreiheit – nach Einführung von Demokratie und Marktwirtschaft nach angloamerikanischen Vorgaben – den Status Quo eines Landes nach dem anderen auf, das in den Fokus der strategischen Planer in Washington gerät. Das machtpolitische „Umpflügen“ von Ländern und Völkern kostet Hunderttausenden das Leben. In allen Fällen – Afghanistan, Irak, Lybien, kurz davor: Syrien, Ukraine – bleiben gescheiterte Staatsgebilde, zerstörte Infrastruktur, Bürgerkrieg, Stammesfehden, Leid, machtpolitisches Chaos – kurz die totale staatliche Paralyse – zurück. Jetzt kommt die Zeit zum ungestörten, ungehinderten und unkontrollierten Säen: etwa in Afghanistan das Graben nach seltenen Erden, in der Ukraine die Einführung von genetischem Monsanto-Saatgut (und damit indirekt in die EU), in Syrien und Irak die Schaffung eines Dschihad-Wunderlandes für manipulierbare Gewalt-Fanatiker als potenzielle „dritte Kolonne“ für anstehende militärische Drecksarbeit.
Nur ein bisschen „umpflügen“ –
mittels TTIP und TIS
Und wir selbst, die doch so lange und so gut in einer Demokratie nach angloamerikanischem Vorbild gelebt haben? Nur weil wir politisch den folgsamen „Partner“ des Weltführers mimen, stehen wir wie jeder andere Fleck der Welt im skeptisch-kritischen Fokus des Großen Bruders. Die erfolgreiche Einführung des Euro und die unerwartet friedfertig-positive Strahlkraft auf andere Kulturräume – vor allem in Russland, Asien und Afrika – hat die EU ungewollt zu einem wirtschaftspolitischen Konkurrenten werden lassen. Eine Gefahr für die nationale Sicherheit des Weltführers. Lybische, irakische oder syrische Verhältnisse drohen uns vermutlich dennoch vorerst nicht. Die romantisch-friedvolle alteuropäische Fachwerkidylle Deutschlands lieben die Amerikaner als Erholungsraum für erschöpfte Kämpfer und sicheren Standort für Kommandozentralen. Es reicht, die prosperierende Verbindung nach Russland zu kappen, am geografischen Rand einen Kriegsherd zu entflammen und die etablierten Strukturen nur ein bisschen „umzupflügen“ – mittels TTIP und TIS. Damit zumindest schon mal Chlorhühner in Fertigsuppen gerührt werden können und man mit Taxifahren ohne gewerbliche Aufsicht Profit machen kann. HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 31.08.2014 von Heinz Knotek