Karmabetrachtungen zum Holocaust vom Kopf auf die Füße stellen
Immer wieder spült es Esoteriker an die brodelnde Oberfläche öffentlicher Aufmerksamkeit die behaupten, der Holocaust wäre aus Sicht des Karmagesetzes die „karmische Strafe“ der Juden für in früheren Leben begangene Untaten. Wer so argumentiert zieht selbst heftiges Karma auf sich herab. Nicht nur entwürdigt er das Ansehen der von den Nazis ermordeten Menschen. Derjenige hat auch die Bedeutung des Karmagesetzes nicht verstanden.
Jüdischer Friedhof, Neustadt (Hessen). (*)
Karma stammt aus dem Sanskrit und bedeutet wörtlich übersetzt Handlung. In der Philosophie der Hindus steht Karma für das Naturgesetz von Ursache und Wirkung. Auf der materiellen Ebene betrachten Wissenschaft und Technik das Prinzip „Ursache und Wirkung“ ebenfalls als Naturgesetz. Die Hindu-Philosophie fasst das Prinzip aber weiter, wendet es auch auf die subtilen Naturreiche an, etwa die Astralwelt.
Willkürliche Schöpfungsakte sind
im Universum nicht vorgesehen
In der Hindutradition ist alles Materielle „nur“ das kristallisierte Ende einer Ursachen-Wirkungs-Kette. Da außerdem an die wiederholte Reinkarnation eines subtilen unsterblichen Seelenfunkens geglaubt wird, muss das Karmagesetz, wenn es denn ein universelles Naturgesetz ist, auch bei der Reinkarnation eine Rolle spielen. Und in der Tat muss es Ursachen geben, warum wir in jenem Land in jener Familie mit diesen und jenen Merkmalen geboren wurden. Dumme Zufälle und willkürliche Schöpfungsakte sind im Universum nicht vorgesehen.
Auch einige urchristliche Schulen propagierten das Naturgesetz-Doppel Karma und Reinkarnation, bevor auf dem Konzil von Nizäa, 325 u. Z., die These als Heräsie verdammt und deren Anhänger fortan verfolgt wurden. In der Esoterik der jüdischen Tradition, deren Grundlage die Kabbalah ist, finden sich ebenfalls Hinweise auf Karma und Reinkarnation. Wobei sich aus gutem Grund Seher und Weise aller Konfessionen stets mit Aussagen zur Wiedergeburt zurückhielten. Die Menschen kommen kaum mit ihrem jetzigen Leben klar. Die zusätzliche Last früheren Erlebens wäre schier unerträglich.
Ansichten vom Jüdischen Friedhof nahe Neustadt/Hessen1. (*)
Karma und Reinkarnation werden oft volkstümlich und damit fehlinter-
pretiert, demnach das ICH wiedergeboren werden würde. Doch ein irdisches mit der stofflichen Form assoziiertes ICH wird nicht wiedergeboren. Es verschwindet spurlos mit der Auflösung des Körpers und seiner Astralform. Wiedergeboren wird lediglich das, was dann noch bleibt: Ein in astraler Energie gehüllter Seelenfunken. Wobei die Astralhülle die verdichtete Form der Wünsche, Hoffnungen, Begierden und Abneigungen der bisherigen Daseinsformen ist. Während der Seelenfunken eine subtile Entität ist, gebildet aus der Verdichtung aller von Selbstübergabe, Altruismus und spiritueller Lebensweise geprägten Handlungen. Je mehr der Seelenfunken mit Bewusstsein ausgestattet wird, um so weniger haben die astralen Kräfte das Sagen, wohin die Reise geht2.
Natürlich hat es in dem Kontext karmische Ursachen, wenn einem Menschen, einer Gruppe von Menschen oder einem ganzen Volk ein Unglück widerfährt. Doch das Karmagesetz funktioniert nicht so simpel kausal wie das Einmaleins in der Grundschule, nach dem Motto: A wurde heute von B verprügelt – dann hat B im letzten Leben von A eine reingehauen bekommen. Selbst schuld…
Was ist mein Karma, in diesem Volk geboren worden zu sein,
das so etwas angerichtet hat?
Den Holocaust auf diese Weise mit dem Karmagesetz „erklären“ zu wollen grenzt an Blasphemie. Warum den Juden im 20. Jahrhundert so unsägliches Leid zugefügt wurde, ist ganz sicher nicht auf eine einzelne Ursache zurückzuführen. In der Geschichte ist kein Fall nachweisbar, dass ein Volk so bestialisch ein anderes ausradiert hätte, wie es die Deutschen mit den Juden taten. Die Juden haben also ganz sicher NICHT das zurückbekommen, was sie angeblich kollektiv einst angerichtet haben. Wer anderes behauptet ist ein Demagoge. Und selbst wenn sich eideutige Ursachen finden ließen, würde das nichts an der schweren karmischen Last der Täter ändern.
Erstes Grab seit 1938, Anfang des Jahrtausends. (*)
Wenn man karmische Betrachtungen anstellen will, dann die zur eigenen Rolle, die man im Strom der Ereignisse zugewiesen bekommen hat. Wer nach 1945 in Deutschland geboren wurde, und etwa auf einem jüdischen Friedhof erleben muss, wie die letzten Grabsteine aus dem Jahre 1938 datieren, der mag sich fragen: Was ist mein Karma, in diesem Volk geboren worden zu sein, das so etwas angerichtet hat? Diese Frage wird keine schnelle Antwort finden. Da wir in der Regel nicht in frühere Leben blicken können, bleibt nur Raum für Betroffenheit und Mitgefühl im Hier und Jetzt. Man muss sich nun keine Schuldkomplexe suggerieren, denn wir Nachgeborenen waren nicht direkt involviert. Doch aufrichtig empfundene Betroffenheit, ehrliches Mitgefühl und wachsame Achtsamkeit, dass sich Geschichte in diesem Land so nicht wiederholt scheint unsere mindeste karmische Aufgabe.
(*) Text/Bild: Kô-Sen
- Die Anlage ist in einem würdig gepflegten Zustand. In der Stadtverwaltung oder in der katholischen Kirche steht der Torschlüssel für Besichtigungen zur Verfügung, außer am Sabbath und an jüdischen Feiertagen. Red. ↩
- Da unser Bewusstsein bei unserer Lebenweise in der Regel im physischen ICH, den Vorlieben und Abneigungen der Persönlichkeit, nicht aber im Geiste fokussiert ist, wird der bewussten Individualität des Seelenfunkens während einer Lebenszeit – wenn überhaupt – nur wenig hinzugefügt. Mit dem Verschwinden des wichtigsten Objektes unseres Wachsbewusstseins, dem illusorischen ICH, bleibt im Nachtod nur ein mehr oder weniger unbewusster Traumzustand übrig, bis uns die akquirierte astrale Energie ungebremst der nächsten Inkarnation entgegentreibt. Siehe auch: Sterben und Wiedergeborenwerden ↩
Zuletzt aktualisiert: 31.12.2009 von Heinz Knotek