Virtuelle Welten, Cloud-Computing, E-Books
Das Internet beschert uns einen multidimensionalen virtuellen Raum, der die Menschen seiner Entstofflichung ein Stück näher bringt. Wo führt das hin? Entweder in eine von pseudointelligenten Robotern dominierte Hölle oder – durch die virtuelle Hintertür – zu mehr Spiritualität.
Virtuelle Welten spielten immer schon eine besondere Rolle in den Kulturen. Hier die Protagonisten aus DIE REISE IN DEN WESTEN, eine Art esoterisch-spiritueller Comic aus dem alten China in der Tradition von Taoismus und (Ch’an-)Buddhismus. Abb. gemeinfrei
Sehr wahrscheinlich landet die übergroße Mehrheit in Ersterem. Zu Letzterem finden nur wenige spirituelle Sucher auf dem Pfad.
Ein paar Klicks und wenigstes mit seinen eigenen fleischlichen Augen kann man sehen, was man sich zuvor kaum auszudenken wagte.
Wobei selbst wenn einem die Dimension des Geistes als solche bewusst ist, hat das noch keine befreiende Wirkung, sondern führt zu einer Zunahme an Prüfungssituationen. Wer nicht zuvor seine in der Aura nistenden astralen Plagegeister aufgelöst hat – und wer hat das schon -, wird jetzt von ihnen verstärkt attackiert werden. Denn alles was bisher an geheimen „schmutzigen“ Begierden in dunklen Ecken des Bewusstseins mehr oder weniger unbeachtet schlummerte, kommt jetzt, wo die materiellen Grenzen am Auflösen sind, mit erregter Lüsternheit hervorgekrochen. Ein paar Klicks und wenigstes mit seinen eigenen fleischlichen Augen kann man sehen, was man sich zuvor kaum auszudenken wagte. Kein Verbrechen, das man sich nicht in Zeitlupe und immer wieder in HD-Qualität ansehen und an das man damit – scheinbar ungestraft – „wenigstens“ virtuell teilhaben könnte.
Prinzip Cloud-Computing. Grafik: Sam Johnston
Das Problem dabei: Jedes mentale und emotionale Bedienen das wir dem Astralgesindel in unserer Aura – also allen intensiven von Emotionen und Verlangen befeuerten Gedanken – zukommen lassen, stärkt diese und macht sie ein Stück materieller. Das schrankenlose Schwelgen im Virtuellen kann daher mehr bindende Wirkung an die Materie entfalten als materielles Tun selbst. Die Möglichkeiten freier Gestaltung von virtuellen (also immateriellen) Räumen verlangt mehr als auf der physischen Ebene ein verstärktes Bemühen, die Emotionen, das Begehren und Denken (Mind) in den Griff zu bekommen.
Bücher zum Lesen UND Anfassen, unabhängig von Elektrizität und Internet. Bild: Kô-Sen
Doch auch im Alltag werden wir mit der Tendenz zur Entstofflichung konfrontiert. IT-Konzerne wie Google preisen etwa in schönen Worten Vorteile und Nutzen des „Cloud-Computing.“ Der Anwender soll seine Arbeiten, die er üblicherweise auf dem lokalen PC durchführt, hinaus in die „Wolke“ Internet verlegen. Dazu gehört aller Schriftkram, Berechnungen, Verwaltung von Adressen, Bookmarks und so weiter. Das ist ungefähr so, wenn man die intime Abgeschlossenheit einer Toilette aufgeben würde, um sich mit einer durchscheinenden Gesichtsmaske über dem Kopf seiner Notdurft in aller Öffentlichkeit zu entledigen. Man sieht nicht die anderen. Aber viele unbekannte Andere können einen sehen. Die Peinlichkeit der Entblößung nimmt man trotz Entblößung selbst nicht wahr. Wer dem folgt, gibt eine materielle Grenze seiner Persönlichkeit preis, die auch eine schützende Wirkung hat.
Das Buch selbst bleibt einem verschlossen
Eine weitere technische Errungenschaft, die das Materielle der menschlichen Kultur relativiert, ist das E-Book. Während man ein Buch auch ohne Elektrizität und Internet-Zugang halten und lesen kann, setzt die Lektüre eines E-Books das reibungslose Funktionieren komplexer kostenpflichtiger Netzwerkstrukturen – insbesondere für Elektrizität und Internet – voraus. Fallen diese Netze aus oder man hat aus welchen Gründen auch immer keinen Zugang, mutiert das E-Book zum sinnlosen Metallkasten. Das Buch selbst bleibt einem verschlossen.
Michael Maier, Atalanta fugiens, Emblem XXVII: (sinngemäß) Wer den Rosengarten der Philosophen1 ohne den geistigen Schlüssel zu betreten wagt, wird darin umkommen. Also WARTEN und ARBEITEN. Grafik: Privatbesitz
Das Virtualisierung des Lebens mutet wie ein gigantischer Einweihungsprozess an, dem sich jeder Einzelne zu stellen hat. Wer seine geistigen Potentiale erweckt und kultiviert hat, mag auf gedruckte Bücher verzichten können und kann seinen heimischen PC beiseite räumen. Doch für die aller meisten Menschen geht ein Stück Souveränität ihrer selbst verloren, wenn sie persönliche Aspekte ihres Seins in die Internet-Wolke verlagern. Wer ist Nutznießer? Die IT-Konzern-Kraken, die kostenpflichtige Werbung noch effizienter adressieren können. Im harmlosen Fall – denn den Möglichkeiten zur Kontrolle und Manipulation des gläsernen Menschen sind keine Grenzen gesetzt. Bei allem ist die goldene Regel jeder Einweihung auch heute gültig: Verlockungen entgeht man am besten mit Enthaltsamkeit und Rückzug.
(Kô-Sen)
- Rosengarten der Philosophen: multifunktionale Allegorie, in unserem Zusammenhang kann sie für die immaterielle geistige Daseinsebene stehen. Entsofflichung ohne begleitende Spiritualität führt naturgesetzlich zur Kollision. ↩
Zuletzt aktualisiert: 30.10.2010 von Heinz Knotek