Nähen geht mit Garn. Viele Garnfäden zusammen ergeben ein Seil. Ein Seil kann binden. Doch nur wenn es straff angezogen wird, ist die Bindung als Gefangenschaft spürbar.
Verstrickt und gebunden – tänzerische Metapher (Bild: Trinosophie-Blog)
Bleibt das Seil eher locker, kann man sich scheinbar frei bewegen. Versucht man sich zu befreien, kann das Verstricken noch schlimmer werden. Man wird regelrecht eingeschnürt. Fügt man sich, kann man leicht manipuliert werden, je nachdem, wer an den Seilen zieht. Dann, eines Tages, hat man es geschafft, die Knoten zu lösen. Man ist frei. Doch da erspäht man etwas. Begehrt es. Nähert sich. Berührt und umfängt es. Etwas an einem Seil. Man dreht sich gemeinsam im Kreis. Das Seil umwickelt beide, die Freie und die Gebundene. Man ist wieder gefangen. Gebunden. Angebunden. Wieder fängt das sich Lösen von vorn an.
Ob die Fesselszene auf die buddhistische These anspielt, dass die Lebewesen an das Rad der Wiedergeburt GEFESSELT sind, verneint Michal Mualem, Co-Choreografin des Stückes SILENZIO CUCITO (sinngemäß „Stille nähen“) und Mitwirkende.
Es gibt keinen speziellen buddhistischen Bezug, aber Darstellung des Spiels von Mann und Frau, Mann und Mann, Frau und Frau; und schließlich allen zusammen in einer kleinen Gemeinschaft, mit den daraus fast zwangsläufig entstehenden BINDUNGEN war sehr wohl Zweck des Stückes.
Die Frage nach einem buddhistischen Bezug der Aufführung kommt nicht von Ungefähr. Der Tanzabend „STRETCHMARKS,“ mit den Stücken SILENZIO CUCITO und MOMENTaryTRAPPED, in der Waggonhalle Marburg, ist ein Projekt der EARTHDANCE-COOPERATION, von Martina La Bontè – Tänzerin, Choreografin, Homöopathin und (!) Schülerin des Tibetischen Buddhismus aus Leipzig. Doch gerade weil das Stück „nur“ das Thema Beziehung tänzerisch umzusetzen beabsichtigt, ist die vermittelte philosophische Assoziation um so glaubwürdiger und beeindruckender.
Mitwirkende am szenischen Nähen der Stille sind neben der aus Israel stammenden Michal, ihr Tanz- und Lebenspartner Giannalberto de Filippis (hat auch an der Choreografie zu Silenzio Cucito mitgewirkt) sowie Claudia Catarzi und Michele Meloni (alle Italien). Der Tanz der Gruppe erinnert entfernt an eine Aikido-Aufführung. Viel runde Bewegung, vermeintliche Angriffe laufen ins Leere, auch in scheinbar hoffnungslosen Verrenkungen findet sich die Gelegenheit zum Herausschlängeln. Alle Darsteller sind mehr als „nur“ ausgebildete Tänzer. So erhielt Michal als Kind und Jugendliche eine Ausbildung als Turnerin. Und Partner Giannalberto folgte jahrelang aktiv budo – dem Weg der Kampfkunst.
Das rote Seil
Höhepunkt der von den Akteuren Konzentration und Kondition fordernden 45 Minuten ist die Magie des roten Seils. Das Seil liegt schon zu Beginn unbeachtet am Rand. Man denkt zunächst, es ist ein vergessenes Elektrokabel. Doch dann beginnt das Fesselspiel. Zunächst ist eine der Frauen gefesselt. Das mag erotische Assoziationen auslösen. Und wirklich, als später die bereits von den Fesseln befreite Tänzerin sich aus freien Stücken der noch gebundenen nähert und sich ganz mit der anderen und ihren VER=STRICKUNGEN einlässt, scheint das alles andere als schmerzlich zu sein. Ist es nicht auch im „richtigen Leben“ oft so, dass man sich aus Zuneigung oder Lust Bindungen auferlegt…?
Doch das ist nur ein kurzer Moment. Es ist ansonsten weitgehend qualvoll. Alle vier hängen am Ende irgendwie zusammen und aneinander. Eng geht es zu. Es gibt nur wenig Spielraum für den Einzelnen. Und auch die Gruppe kann nur noch um sich selbst schwingen. Die Szene erinnert an physikalische Modelle von Kristallgittern. Die Akteure sind die um ihre fixe Position vibrierenden Atome. Das ganze ist ein KRISTALL. Etwas Kristallisiertes, Starres.
SILENZIO CUCITO – Eindrücke (ca. 2,4 MB)
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(Fotos: Trinosophie-Blog)
Rot gilt allgemein als Farbe der Begierde und Lust. Die aber sind es, die Leiden und Bindung verursachen. Michal plant in zukünftigen Aufführungen zusätzlich ein Netz aufzuhängen. Mit Hilfe entsprechender Beleuchtung soll dadurch der Eindruck des Im-Netz-Gefangen-Seins verstärkt werden.
Das Ende hat dann auch das Zeug zur fernöstlichen Inspiration. Eine Person verschwindet. Die Seile ziehen weiter an den Zurückbleibenden. Aus dem NICHTS. STILLE. Illusion. Leerheit. Nächste Aufführung: Ende Oktober in der Schaubühne Lindenfels in Leipzig-Lindenau.
Linksunten
Schaubühne im Lindenfels Leipzig
Martina La Bontè (leider im Moment nur fragmentarisch)
Zuletzt aktualisiert: 22.10.2007 von Heinz Knotek