Wer sich als Arbeiter auf einer Ölplattform im Atlantik verdingt verdient gutes Geld. Er ist aber zugleich besonderen Gefahren ausgesetzt. Dazu gehört auch Lebensgefahr. Wenn nun ein Arbeiter etwa bei stürmischer See im Arbeitseinsatz tödlich verunglückt zählt das als Arbeitsunfall. Für die Familie ein schreckliches Ereignis. Doch zugleich ist allen klar: Es hätte gut gehen könnne. Doch es ist schief gegangen.
Arbeiten auf einer Bohrinsel ist riskant. Foto: Agência Brasil
Das Risiko war von Anfang an bekannt. Wäre es gut gegangen, würde sich am Ende des Einsatzes ein schöner Batzen Geld gesammelt haben. Niemand käme nun auch nur auf die Idee, den Verunglückten als “gefallen für Deutschland“ zu heroisieren. Es stellt sich nun die Frage, ob der Kriegseinsatz deutscher Soldaten sich wesentlich von der Situation von Arbeitern auf Ölplattformen unterscheidet.
Es stellt sich nun die Frage, ob der Kriegseinsatz deutscher Soldaten sich wesentlich von der Situation von Arbeitern auf Ölplattformen unterscheidet.
Bis 1999 – dem ersten offiziellen Auslandseinsatz deutscher Soldaten, damals im verfassungsmäßig und völkerrechtlich umstrittenen Krieg im Kosovo – war der Job bei der Bundeswehr sicher und gut bezahlt. Dem durchschnittlichen Berufssoldaten ging es vor allem um einen stabilen Job und ein für seine Verhältnisse gutes Einkommen. KRIEG gab es nur als Planspiel im Manöver. Im Krieg-Spielen geht es ja nur theoretisch darum, zu töten oder getötet zu werden. Kein Grund also am Dienstauftrag zu zweifeln.
Doch was mit dem Kosovo anfing, hat sich nun zur bedrohlichen Alltags-Realität entwickelt. Wer heute Berufssoldat wird, muss damit rechnen, früher oder später in einem Auslandseinsatz zu landen, wo richtig getötet wird und man richtig sterben kann. Allerdings werden Kriegseinsätze deutscher Soldaten nicht einfach als „Arbeitseinsätze“ wie etwa ein Einsatz auf einer Bohrinsel deklariert. Laut ursprünglicher Verfassung wurden der Bundeswehr Auslandseinsätze nicht zugestanden und überhaupt war ein Einsatz nur zur Abwehr eines kriegerischen Angriffs zulässig.
Einmal angezettelt werden Kriegseinsätze zu Selbstläufern
Die jeweils zuständigen Politiker hatten also mit Fingerspitzengefühl und Findigkeit eine Argumentationskette zu finden, dass – im Falle von Afghanistan – Deutschland in über 4.000 Kilometern Entfernung angegriffen wird. Und folglich die Bundwehr dorthin ausziehen muss, um „Deutschland zu verteidigen“. Vor allem dem Machterhalt der rot-grünen Schröder-Fischer-Regierung war es geschuldet, dass die Bundeswehr der mehrfach der groben Lüge und bewussten Täuschung überführten US-Administration unter G. W. Bush in den Afghanistan-Krieg folgen musste.
Einmal angezettelt werden Kriegseinsätze zu Selbstläufern. Gibt es die ersten Toten, müssen gerade die als Grund zum Weitermachen herhalten gemäß dem Motto „sie dürfen nicht umsonst gestorben sein.“ Nimmt das Sterben zu, werden die Toten als Argument für die Beschaffung von mehr und schwereren Waffen benutzt. Eine Spirale setzt sich in Gang. Da von Berufspolitikern nicht zu erwarten ist, dass sie öffentlich Irrtum und Fehlentscheidung eingestehen, wird sich also kein Minister oder Bundeskanzler jemals öffentlich hinstellen, das Fehlurteil eingestehen und sich bei den Angehörigen der mutmaßlich sinnlos gestorbenen Soldaten entschuldigen.
Die Spirale wird vermutlich erst durch das „Vietnam-Prinzip“ zu stoppen sein. Wenn immer mehr hässliche Bilder von verstümmelten Toten in die Wohnzimmer schwappen. Oder wenn eigene Soldaten den angestauten psychischen Druck in Massakern an der Bevölkerung entladen. Doch das kann dauern. Derweil muss ich jeder Einzelne SELBST fragen: STERBEN – wofür?
Neues aus der Anstalt vom 13.04.2010: Georg Schramm über die Situation in Afghanistan
Anders als zur Zeit der Gründung der Bundesrepublik, als russische Atomraketen direkt das Land bedrohten und hoch gerüstete Truppen in Sichtweite der innerdeutschen Grenze feindselig lauerten, ist spätestens seit der Währungsunion weit und breit keine feindliche Macht in Sicht. Spätestens nach Wegfall der innereuropäischen Grenzen hat sich der ursprüngliche verfassungsgemäße Auftrag der Bundeswehr schlicht und einfach erledigt. Das vorsorgliche Rüsten zur (Selbst-)Verteidigung gleicht damit einem WARTEN AUF GODOT. Absurd und ohne jeden Sinn. Was also tun mit einem hoch gerüsteten Militärapparat, der offenkundig keine erkennbaren Aufgaben hat?
Und dennoch: Wer heute Berufssoldat wird, muss sich im Klaren darüber sein, dass die Bundeswehr keine „Salon-Armee“ mehr ist. Obwohl es keine konkrete Bedrohung mehr gibt, gehen gerade jetzt die richtigen Kriegseinsätze los. In 4.000 Kilometer Entfernung. Geschickt wurde den überforderten Massen plausibel verkauft, warum allen verfassungsrechtlichen Bedenken zum Trotz das Kriegführen im Ausland gut und richtig ist. Armee steht in Deutschland wieder für das wofür Armee nun mal steht: KRIEG führen. Krieg bedeutet TÖTEN und GETÖTET WERDEN.
Ist das Sterben deutscher Soldaten in Afghanistan nun ein jobbedingter Arbeitsunfall – wie der Unfalltod beim riskanten Job auf der Bohrinsel – oder eine heroische Opfertat für das bedrohte Deutschland? Die Frage muss sich jeder selbst beantworten. Auch dann, wenn er keinen Sohn und keine Tochter hat, der oder die meint nach der Schule seine berufliche Zukunft in der Bundeswehr suchen zu müssen: Kriegspielzeug steht nicht länger in abgelegenen Bereichen der Spielzeugläden, sondern liegt in den Auslagen im Schaufenster und ist seit einiger Zeit der Umsatzrenner. Gerade noch konnte das Ansinnen, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen, knapp abgewehrt werden. Die Gesellschaft erlebt eine schleichende Militarisierung. Höchste Zeit, sich generell zu fragen: Leben und Sterben – wofür also eigentlich? Dafür? Wofür?
(Kô-Sen)
Zuletzt aktualisiert: 18.04.2010 von Heinz Knotek