Alle Jahre wieder bemühen sich zu Ostern die Medien – vor allem die Radiosender – der stets weitgehend unkundigen Allgemeinheit zu vermitteln, was es mit zwei Osterfeiertagen, dem Hasen und den Eiern eigentlich auf sich hat. Da passt thematisch gerade gut dazu, dass sich das Kirchenchristentum in einer öffentlich diskutierten Vertrauenskrise befindet.
Ostern: Leere bunt bemalte Eier schaukeln im Frühlingswind. (*)
Denn in der Diskussion gewinnt immer stärker auch die These Gestalt, dass der jahrelange Vertrauensmissbrauch womöglich systemisch bedingt sei. Seriöse Zeitungen fragen sich sogar besorgt: Kann die Kirche den Neuanfang schaffen?
Es geht vielmehr um das Glaubensbekenntnis selbst
Mit jedem neuen Selbstmordanschlag, verübt von islamistischen Fanatikern, verfestigt sich im kollektiven Unterbewusstsein der mitteleuropäischen Volksseele der Eindruck, dass der Terror eine systemisch bedingte Folge des Islam sei. Dadurch erst konnte etwa das Minarettverbot in der Schweiz eine tragfähige Mehrheit in der Bevölkerung finden. Vor allem katholische Würdenträger wiesen in ihren öffentlichen Auftritten gern auf subtile Weise darauf hin, dass Europa doch christlich sei – eine Errungenschaft, die vor islamischer Überfremdung sehr wohl geschützt werden sollte. Das Minarettverbot ließ den Klerus nicht wegen der zugrunde liegenden Motivation erschrecken, sondern wegen der demokratisch legitimen – theoretischen – Konsequenz, eben auch Kirchtürme zu verbieten.
Jetzt die Vertrauenskrise. Davon, dass die mit Mord, Totschlag und Bestechung gewaltsam durchgesetzte Christianisierung Europas eine „Errungenschaft“ wäre, hört man in diesen Tagen eher wenig. Stattdessen tritt jetzt eine Art „Islam-Effekt“ ein. Man fragt sich, ob Missbrauch und Gewalt mutmaßlich nicht ähnlich systemische Wesensmerkmale des Kirchenchristentums sind, wie eben Selbstmordattentate für den Islam. Den Moslems wird – nicht zu Unrecht – ein Mangel an erkennbarem Reformwillen vorgeworfen. Doch der Kirche geht es plötzlich nicht anders. Die Süddeutsche Zeitung fragte sich: Kann die Kirche den Neuanfang schaffen?
Wäre der offenbarte massive (Vertrauens-)Missbrauch systemisch bedingt, würden weder Entschuldigungen und Entschädigungszahlungen noch weiteres Wegsehen und das Abschaffen des Zölibats nützen. Es geht dann vielmehr um das Glaubensbekenntnis selbst. Doch wie lautet das eigentlich genau? In der kanonischen deutschen Version des Neuen Testaments findet sich das Glaubensbekenntnis in 1 Kor 15,14:
… ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist unsere Predigt leer, leer auch unser Glaube…
Paulus hat mutmaßlich dieses Alles-oder-Nichts-Glaubensbekenntnis in die Welt gesetzt, wie er ja überhaupt als der Erfinder des organisierten Christentums gelten muss, denn bis dahin war Christ-Sein vor allem eine mystische Lebenshaltung vornehmlich strenger jüdischer Gottessucher. Ja und was nun, wenn Christus NICHT auferweckt wurde, es ihn sogar noch nicht einmal in der Person und in der Rolle die ihm nachträglich zugewiesen wurde, gegeben hat? Glauben ist nicht Wissen, heißt es im Volksmund. NIEMAND weiß, was an der Jesuslegende stimmt, was nicht. Bleibt nur Glauben. Allerdings gehörten vor noch ein paar Jahrhunderten noch ein paar Dinge mehr dazu, die man glauben MUSSTE, wollte man als guter Kirchenchrist gelten und NICHT auf dem Scheiterhaufen landen: Unter anderem, dass die Erde eine Fläche sei.
KARMA und REINKARNATION seien unwissenschaftlich.
Und was ist mit der Wiederauferstehung?
So gut wie alle zum Glaubensbekenntnis stilisierten Erklärungsmodelle der Kirche, die noch bis in das 18. Jahrhundert hinein als unanfechtbar galten, haben sich inzwischen erledigt. Dass es die physische Auferstehung eines Toten nicht nur nicht geben kann, ein solcher Mechanismus auch kaum wünschenswert wäre, ist zwar wissenschaftlicher Konsens, genau so dass es eine „unbefleckte Empfängnis“ im biologischen Sinne nicht geben kann. Doch unverändert definiert die Kirche hier den zentralen Drehpunkt ihres Glaubens. EIN SYSTEMISCH BEDINGTER WIDERSPRUCH DER KIRCHE ZUR WIRKLICHKEIT.
Interessant ist in dem Zusammenhang, dass die Mehrheit der Wissenschaftler – etwa jene, die am CERN in Genf Protonen erst im Kreis rennen lassen, um dann am Bildschirm glücklich zu verfolgen, wie beim Zusammenprall bunte Charts entstehen – sich ausdrücklich als CHRISTLICH bezeichnen. Spricht man DIE SELBEN Wissenschaftler jedoch auf KARMA und REINKARNATION an, bekommt man brüsk zur Antwort: Das ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Ein weiterer systemisch bedingter Widerspruch zur Wirklichkeit, hier von sich christlich bekennenden Wissenschaftlern. Wenn also KARMA und REINKARNATION als unwissenschaftlich abgewiesen werden, dann muss die Ablehnung auch dem kirchenchristlichen Dogma von der Wiederauferstehung widerfahren. Es gibt KEINEN WISSENSCHAFTLICHEN Grund, einmal „wissenschaftlich nicht Nachgewiesenes“ abzulehnen und einmal „als Glauben zu akzeptieren.“ Alles oder nicht gilt auch hier.
Die gegenwärtige Vertrauenskrise der Kirche ist eine Chance für die ganze Gesellschaft zur kritischen Selbstreflexion und Revision von Werten und Zielen. Und die Kirche? Vielleicht findet sich eine Lösung der Vertrauenskrise an der historischen Wurzel des Kirchenchristentums, wie wir es heute kennen: Dem erste Konzil von Nicäa. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Christentum eine bunte und tolerante Gemeinschaft von Gottsuchern. Bis zum von Kaiser Konstantin I. im Jahr 325 einberufenen Konzil war etwa die These von KARMA und REINKARNATION allgemein akzeptierte. Danach wurden deren Anhänger verfolgt und ausgerottet.
(*) Text/Bild: Kô-Sen
Zuletzt aktualisiert: 05.04.2010 von Heinz Knotek