Der Hass auf Juden und Russen sitzt tief im Unterbewusstsein des europäischen Gemüts. Russenhass und Hass auf Juden haben unterschiedliche Herkunft. Der Judenhass mag eine Wurzel in der christlichen Legende haben, nach der ein Jude den Heilsbringer Jesus verraten haben soll. Russenhass war zunächst eher Russenverachtung, angesichts des demütigenden Umgangs der absolutistisch herrschenden Feudalherren mit ihrer Bevölkerung, die sich bis weit in das 19. Jahrhundert hinein willig dem Joch der Leibeigenschaft fügte.
Russenhass wird zum Völkermord
Als 1917 das feudale Herrschaftssystem von sich als „Befreier“ unterdrückter Massen gerierenden Bolschewiken durch eine kommunistische Diktatur abgelöst wurde, wurde die Allegorie „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“ plötzlich zur realpolitischen Gefahr. Schließlich hatten die „Rebellen“ um Lenin nichts Geringeres im Sinn, als die von Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei avisierte weltweite Diktatur des Proletariats tatsächlich zu errichten. In Russland schien es erstmalig in einem Land zu funktionieren. Nun bekamen die Kapitalisten Angst, ihnen könnte es ergehen wie den russsichen Feudalherren. Aus Russenverachtung wurde Bolschewikenangst und daraus verkürzt Russenhass.
Parallel zur Machtergreifung der Bolschewiken im Russischen Reich setzten sich zwei Gegenbewegungen in Gang. Um der „bolschewistischen Gefahr“ Einhalt zu gebieten kam es zum bis 1922 dauernden Bürgerkrieg. Mit militärischer, logistischer und finanzieller Unterstützung vor allem durch westeuropäische Staaten wurden alle möglichen Gruppen unterstützt, die gegen die von Leo Trotzki gegründete Rote Armee kämpften. Gleichzeitig wurde vor allem in den USA das von den Kommunisten angefeindete kapitalistische Wirtschaftsmodell „sozialisiert“. Fließbandarbeiter – etwa bei Ford – waren nicht mehr wie zu Beginn des Industriezeitalters in England schlecht bezahlte und unterdrückte Lohnsklaven. Sie konnten sich jetzt die Produkte – etwa ein Ford-Automobil – selbst leisten. Henry Ford zeigte sich damals angesichts der „bolschewistischen Gefahr“ gelassen. Ihm wird die Äußerung zugeschrieben, dass es unter seinen Arbeitern solange keine revolutionären Erhebungen geben wird, so lange sie mit einem von ihnen selbst produzierten Automobil zur Arbeit fahren könnten. Dabei soll er mit einer Geste auf den belegten Parkplatz vor seinem Bürofenster verwiesen haben.
Bekanntlich waren die Bolschewiken die Sieger des Bürgerkrieges. In der Folge kam es 1922 zur Gründung der UdSSR (Sowjetunion). Für ein paar Jahrzehnte wurde die Sowjetunion fortan zum „heiligen Land“ des Frieden und der Gerechtigkeit bringenden Sozialismus verklärt. Die Verbrechen der kommunistischen Diktatur wurden erst als Geburtswehen einer neuen Gesellschaft verharmlost und später auf inquisitorische Weise totgeschwiegen. Millionen Menschen kostete diese Illusion das Leben. Erst die Implosion des Sowjetimperiums löste die Täuschung des Sozialismus – zumindest vorübergehend – auf. Das „Prinzip Ford“ erwies sich dagegen als überlebensfähiger.
Die Staatsgründung der UdSSR war dem kapitalistischen Rest der Welt von Anfang an ein bedrohlicher Dorn im Auge. So lässt sich unter anderen erklären, warum in den 1920er und 1930er Jahren vulgäre NS-Phrasen, etwa dass Bolschewiken (und Juden) „Untermenschen“ wären die es zu bekämpfen und zu vernichten gelte, mehr und mehr salonfähige politische Statements werden konnten. Es passte wohl zum Zeitgeist, dass der Postkartenmaler Hitler ungeschminkt ankündigen konnte in naher Zukunft die exekutierende Drecksarbeit verrichten zu wollen – letztlich im wirtschaftlichen Interesse der Industriellen und Banker. Es wurde dann so lange aufgehetzt, ideologisiert und manipuliert bis der „Führer“ erst am 1. September 1939 ungestraft verkünden konnte „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen“ (Auslösung des Zweiten Weltkrieges durch den Überfall auf Polen), um dann 1943 mit dem Plan Barbarossa den finalen Kreuzzug gegen den Bolschewismus in die Tat umzusetzen. So wurde aus Russenhass Völkermord. HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 02.12.2024 von Heinz Knotek