Zum Pathos der Weichnachtszeit gehört es, in den Medien über Barmherzigkeit zu sprechen und sich an der Discountkasse gegenseitig Segen zu wünschen, zumindest wenn man in einer katholischen Gegend lebt. Jetzt ist daher die große Zeit der „Fund-Sammler“. Also der Leute, die davon leben, für alle möglichen wohltätigen Zwecke einen Fund – eine Art Spendentopf – zu eröffnen und zu verwalten.
A 1930s photograph of a desert traveler seeking the assistance of God the Merciful, the Compassionate. Foto: gemeinfrei
Sucher auf dem Pfad die in der Regel hart am eigenen Ego knabbern wissen längst, wie verlogen und eitel das Ego besonders dann ist, wenn es einen auf „barmherzig“ macht. Das gilt natürlich in einer auf Egoismus basierenden Gesellschaft umso mehr. Wer es aushält, muss sich nur eine Weile eine der vielen Benefizveranstaltungen im TV um Weihnachten herum gönnen – falls er dazu nach Bestätigung sucht. Man muss dabei nicht lange suchen um die Leute auszumachen, für die inszenierte Barmherzigkeit eine super Geschäftsidee ist. Dabei sind Barmherzigkeit und Mitgefühl wesentliche Aspekte menschlichen Seins, die uns vom Tier unterscheiden.
Der Ego-Falle entkommen
Avalokiteśvara looking out over the
sea of suffering. China, Liao
Dynasty. Foto: Rebecca Arnett
Reine Barmherzigkeit wäre die vollkommene Widmung seiner selbst allen fühlenden Wesen. Wohl wissend, dass dieses Ideal im gewöhnlichen Alltag kaum mehr als ein unterschwelliges Motiv sein kann, verweisen die Weisheitslehren um so mehr auf die Notwendigkeit ihrer Verinnerlichung. Widmung seiner selbst geschieht zumeist selektiv: MEINER Familie, MEINEM lieben Gott, MEINER Kirche, MEINEN Freunden, Menschenschicksalen die MIR bekannt sind, MEINEM Meister… IMMMER ist ein auf das Ego verweisendes Pronomen dabei – und entschleiert alle Liebe als vor allem SELBST-Liebe.
Besonders in buddhistischen Schriften – und hier vor allem im unerschöpflichen Lehrtext des AVATAMSAKA-Sutras – findet der Sucher Impulse, wie man der Ego-Falle beim Bemühen um Barmherzigkeit und Mitgefühl entkommen kann. Ein Beispiel: Die erste der ZEHN HINGABEN (Ten Dedications), die „Hingabe, alle fühlenden Wesen, ohne vorgefertigte Meinung, zu retten.“ Das klingt nun auch sehr pathetisch. Doch das ist asiatische Bildsprache. Darum geht es (Auzug).
The Avatamsaka Sutra
Also known as The Flower Ornament Scripture
Chapter 25: Ten Dedication
The enlightening beings’ protection of and dedication to those who are not their relatives or friends are equal to those for their relatives and friends. Why? Because enlightening beings enter the equal natur of all things, they do not conceive a single thought of not being relatives or friends. Even if there be sentient beings who have malicious or hostile intentions toward the enlightening beings, still the enlightening beingsalso regard them with the eye of compassion and are never angered. They are good friends to all sentient beings, explaining the right teaching fort hem, so that they may learn and practice it. Just as the ocean cannot be changed or destroyed ba all poisons, so too are enlightening beings – the various oppressive afflictions of all the ignorant, the unwise, the ungrateful, the wrathful, the poisoned by covetousness, the arrogant and the conceited, the mentally blind and deaf, those who do not know what is good, and other such evil sentient beings, cannot disturb the enlightening beings.
(Quelle: The Flower Ornament Scripture, A Translation of the The Avatamsaka Sutra, Thomas Cleary, Boston, 1993)
Wahre Barmherzigkeit geht also so, sagen die alten Weisen. Wenigstens versuchen kann man es, allem Egoismus zum Trotz. HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 24.12.2010 von Heinz Knotek