Alle aus Vorzeiten überlieferte Schriften bedienen sich des zur ihrer Entstehungszeit gängigen Vokabulars. Kein Mensch würde heutzutage etwa etwas mit den Predigten von Meister Eckehart anfangen können, würde er sie im ursprünglichen Altdeutsch lesen. Genau so wenig ist die subtile Symbolik der im reinen Sanskrit verfassten Verse der Upanishaden für den heutigen Durchschnittsleser verständlich.
Priester einiger Religionen predigen, man möge sich von GOTT kein Bild machen. Doch aufzufordern, etwas NICHT zu tun, ist lediglich das Auffordern zu spiegelverkehrtem Doch=Tun. DIE Auslegung ist also irreführend. Bild: Kô-Sen
So genannte heilige Schriften wörtlich wie zu Zeiten ihrer Entstehung zu deuten, bedeutet ihnen Gewalt anzutun. Das gilt auch für den Koran. Das „vergessen“ sowohl sich auf den Koran beziehende Terroristen, als auch das Klischee von der „islamischen Gefahr“ bedienende Publizisten. Ein Auszug aus einem Artikel des Magazins THE THEOSOPHICAL MOVEMENT1 liefert dazu Hintergründiges.
aus IN THE LIGHT OF THEOSOPHY
(Vol. 79, Dezember 2008, Nr. 2)
Terroranschläge in Indien und anderswo haben den Eindruck erweckt, jihad sei eine zentrale Lehre des Korans. Doch im Koran wird „Jihad“ in seinem ursprünglichen Sinne benutzt: „sich um etwas bemühen“ – um eine Verbesserung der Gesellschaft ringen, Tugend verbreiten (maruf) und das Böse in Schach halten (munkar). Obwohl im Koran das Wort „jihad“ 41 Mal vorkommt, wird es nicht ein einziges Mal im Sinne von KRIEG benutzt.
Es werden vier grundlegende Tugenden im Koran gepriesen:
- Gerechtigkeit (`adl),
- Nächstenliebe (ihsan),
- Mitgefühl (rahmah) und
- Weisheit (hikmah).
Wer in der praktischen Umsetzung dieser Tugenden versagt, kann daher nur schwer behaupten Moslem zu sein. Man könnte sogar sagen, Mitgefühl sei DIE zentrale Tugend des Korans, wird der entsprechende Begriff doch 335 Mal erwähnt.
Besonderer Nachdruck wird aber auch auf GERECHTIGKEIT gelegt, und zwar in allen politischen und sozialen Fragen. Wer jihad in Form von Terroranschlägen führt ist auf Rache erpicht. Gute Moslems hingegen lernen zu vergeben – so wie Allah es getan hat. Selbst in der Gesetzgebung der Shariah kann jihad lediglich von einem Staat oder seinen Repräsentanten ausgerufen werden. Terroranschläge sind daher nichts anderes als Mord an unschuldigen Menschen. Rache befriedigt lediglich unser Ego; Ungerechtigkeit das Ego des Feindes. Auf diese Weise wird der zehrende Krieg aufrechterhalten.
„Rechtmäßiger Krieg“ bezieht sich auf den INNEREN Kampf
Unsere heutige Welt ist sehr verschieden vom Arabien des siebenten Jahrhunderts. Wir sollten daher das Augenmerk eher auf die ethischen Grundsätze des Korans legen, statt auf dessen Kriegserklärungen. Die öffentliche Aufmerksamkeit lässt sich stattdessen mit demokratischen Mitteln ansprechen. Hat nicht der Prophet selbst gesagt, dass „… die Tinte eines Gelehrten über dem Blut des Märtyrers steht.“?
Wahre Kenntnis der eigenen Schriften ist wesentlich für die Harmonie in der Gesellschaft. Sowohl hinduistische als auch islamische Schriften haben das Konzept eines Dharma Yuddha (rechtmäßigen Krieges) oder Jihad ausführlich beschrieben. Beide Konzepte haben einen ehrenwerten Hintergrund. Im Kern verweisen sie auf die Anstrengung des Gläubigen bis zum Äußersten – das Führen eines Krieges inklusive – Gerechtigkeit durchzusetzen und das Ende der Unterdrückung herbeizuführen…
Nur wenige von uns nehmen die Mühe auf sich, dem ursprünglichen Sinn unserer Religionen nachzuspüren. Meistens sind wir mit den Deutungen religiöser Autoritäten zufrieden. Diese Autoritäten interpretieren die Schriften jedoch oft im Sinne ihrer eigenen Interessen. So meinen etwa viele Leute, die Gita würde den Krieg befürworten. Tatsächlich haben sie die Symbolik nur nicht verstanden.
Die meisten Schriften bedürfen einer allegorischen Auslegung mit Hilfe eines SIEBENFACHEN Schlüssels. So bezieht sich in den meisten Fällen die Formulierung „rechtmäßiger Krieg“ auf den inneren Kampf zwischen dem Ego der Persönlichkeit und dem unpersönlichen HÖHEREN SELBST des Menschen. Der größte Feind des Menschen ist seine eigene niedere Natur – die es zu bezwingen gilt. (Kô-Sen)
Zuletzt aktualisiert: 04.03.2009 von Heinz Knotek