Ikone des Einsiedlers Onophrios1,
4. Jh. Abb. gemeinfrei
Ein amerikanischer Zen-Buddhist bereiste in den späten 1980er Jahren China und gelangte eines Tages an einen schwer zugänglichen Berg auf dem sich ein taoistisches Kloster voll mit empörten Mönchen befand. Die Taoisten waren erbost darüber, dass die Regierung in Peking ihren Berg an das Stromnetz anschließen wollte, angeblich – so die Mönche – um die Lebensbedingungen zu verbessern. Doch für die Taoisten war das harte Leben ohne zivilisatorische Bequemlichkeiten keine Last und auch nicht Ausdruck von Rückständlichkeit.
Technik und Bequemlichkeit tendieren dazu, das Denken einzulullen, die Sinne abzustumpfen und die Kreativität zu dämpfen; kurz die Persönlichkeit zu „phlegmatisieren“. Je intelligenter die Technik, um so stärker. Von den erwähnten Mönchen entzogen sich viele dem oktroyierten Fortschritt durch Rückzug in noch unzugänglicher Tiefen des Gebirges. Und was können wir tun?
Meditativen Lebenshaltung bedarf keiner Elektrizität
Es war schlicht und einfach Teil der meditativen Lebenshaltung der taoistischen Mönche, keiner Elektrizität zu bedürfen und es nicht nachteilig zu empfinden das Trinkwasser täglich mühsam per Hand pumpen zu müssen. Dabei kennt der Taoismus kein morbides Selbstkasteien. Erschwerte Lebensumstände werden nicht bewusst provoziert, sei es als Buße, aus Reue oder zur prophylaktischen Sinnenabtötung, wie es etwa manche hinduistische und christliche Asketen praktizieren. Auch gegen elektrischen Strom und bequeme Wasserversorgung haben Taoisten nichts. Die Mönche wussten aber nur zu gut, dass die Regierung den Segen des technischen Fortschritts nicht IHRETWEGEN durchsetzen würde, sondern um das Kloster attraktiv für Touristen zu machen. Klöster, welcher Richtung auch immer, sind beliebte Touristenziele und können dadurch der Region einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung bescheren.
Intelligente Technik und wirtschaftliche Entwicklung galten noch im 20. Jahrhundert als Allheilmittel den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Doch der Zwang zu immer weiterem Wirtschaftswachstum verlangt eine ständige weiter modifizierte Technik. Obwohl etwa Waschmittel chemisch längst optimiert sind und Autos kaum windschnittiger werden können – immer wieder muss es neue Waschmittel geben und Autos die anders aussehen als ihre Vorgänger. Technik ist damit nicht mehr FÜR den Menschen da um sein Leben zu erleichtern, sondern der Mensch muss zur Technik per Werbung „verführt“ werden.
Elektrizität ist bequem, aber für eine meditative Lebenshaltung nicht zwingend erforderlich. (*)
Da die Technik selbst weitgehend ausgereizt ist, müssen immer neue kleine Helferlein das Licht der Welt erblicken, um die Gunst des Konsumenten für ganz andere Produkte zu ergattern. Daher kein neuer Kleinwagen ohne Navigationssystem. „Apps“ machen das banale Allerweltsprodukt Mobiltelefon zu einem süchtig machenden Prestigeobjekt. Ja und die Hausfrau und Mutter, die ihren Lieben daheim nicht den Traum markengerechter Keimfreiheit ermöglicht, muss sich – laut Werbung – geradezu als Versager schuldig fühlen. Es ist erwiesen, dass die „behelmte“ Radfahrer bewusst zu riskanteren Fahrmanövern neigen. Genauso wie der Autofahrer zu der Illusion neigen, Kraft ABS und Rundum-Airback-Systemen, ihnen könne ein Crash bei hoher Geschwindigkeit nichts anhaben – und folglich schneller fahren als es die Sicherheitstechnik erlaubt. Die technische Intelligenz im Alltag lullt unser Denken ein. Die Sinneswahrnehmung wird mehr und mehr desensibilisiert.
Und auch unserem Erfindergeist und der Kreativität geht es an den Kragen. Firmen bilden sich kaum noch um wirklich neue Produkte herum. Vielmehr sind es „Geschäftsideen“ oder kleine Tricks, wie aus den allseits verteilten Pfründen anderen ein kleines Stückchen weggenommen werden kann, die als „innovativ“ gefeiert werden. Jeder „Herr Mustermann“ kann seine langweiligen Urlaubsfotos und Filme mit Hilfe billiger Softwaretools zu semikreativen Kunstwerken aufpeppen und damit Mailpostfächer seiner Angehörigen und Freunde zumüllen. Jugendliche die in der Schule den Auftrag bekommen ihr Zimmer auszumessen, berichten von einem tollen Lasergerät, mit dem man die Abstände bequem ablesen kann. Wie aber eine Längenmessung durchzuführen ist wissen sie nicht – und wie das Lasermessgerät funktioniert wissen sie gleich gar nicht.
Prüfungen bis an die Grenzen des Erträglichen
In prähistorischen Zeiten – etwa im alten Griechenland – versetzte der große Hierophant der Mysterien – der „Enthüller der heiligen Geheimnisse“ – den nach Wissen, Weisheit und Erleuchtung strebenden Prüfling (Neophyt) in eine Reihe von Prüfungssituationen. Nur wer diese bis an die Grenzen des Erträglichen gehenden Prüfungen mit Bravour zu meistern vermochte, erhielt Zugang zu den heiligen Geheimnissen der göttlichen Weisheit (Theosophie). Es waren damals immer nur wenige Neophyten auf dem Weg. Heute, heißt es, ist die Menschheit als Ganzes in einer Art Neophyt-Zustand. Und plötzlich bekommt etwa die verlockende Verspieltheit eines iPad und der Unsinn einer „Cloud“ eine ganz neue – eine wirkliche – Bedeutung. PRÜFUNG, alles.
(*) Text/Bild: Heinz Knotek
- Die Religionen aller Hochkulturen kennen die mystische Tradition des enthaltsamen Einsiedlers, hier aus der Zeit des Byzantinischen Reiches. ↩
Zuletzt aktualisiert: 18.01.2012 von Heinz Knotek