© School of Seven Bells – I L U [Official Video]/YouTube
Wer versehentlich auf eine heiße Herdplatte fasst und NICHT vor Schmerz aufschreit und reflexartig mit der Hand zurückzuckt – der hat ein gravierendes gesundheitliches Problem und gehört zum Arzt. Wer aber eine schöne Blume am Wegesrand pflückt, um das entzückende Geschöpf für eine Weile optisch und dem Geruch nach genießen zu können, der ist eine „Marionette seiner selbst“ oder besser: Marionette seines Begehrens und seiner Sinne. Aber – wer ist das nicht? Die amerikanische Alternative-Band SCHOOL OF SEVEN BELLS hat mit ILU dem Phänomen eine sinnlich betörende Video-Metapher gewidmet.
Begehren wie das Atmen von Luft
Werden unsere Sinne auf intensive Weise stimuliert, beginnen Säfte zu fließen, das Herz schlägt – vor Verlangen – schneller, der Blick weitet sich, „etwas“ in uns drängt uns zu ERGREIFEN. Etwa bei einem Stück Lieblingstorte. Da läuft der Speichel und man möchte es voll Begierde verschlingen. Vielleicht auch zwei Stück. Und nach einer langen Zeit des Verzichts mag man gar bedenkenlos so viel Kuchen verschlingen bis einem schlecht wird. Man sagt dazu Heißhunger.
Doch genau vor diesem Bedienen der Forderungen der Sinne warnen die Weisheitslehren aller Hochkulturen. Denn das ERGREIFEN von begehrten Objekten zur Befriedigung einer Lust, so die Mahnung, ist der entscheidende Kitt der einen an das Rad der Wiedergeburt festklebt. Was soll man tun, wenn man etwas begehrt, wie das Atmen von Luft oder das Durststillen mit köstlichem Wasser? Der Mensch scheint eingekeilt zwischen den zwei Extremen Hedonismus und Enthaltsamkeit. Ersteres zehrt aus, kann früher oder später krank machen. Letzteres aber auch, etwa wenn Enthaltsamkeit als eine vom Ego auferlegte rigide Lebenshaltung erzwungen wird. Von mittelalterlichen christlichen Nonnen wird berichtet, dass je mehr sie versucht hatten, sich die „Fleischeslust“ weg zu kasteien, sie um so mehr von diabolisch-pornografischen Visionen behelligt wurden. Erzwungene Enthaltsamkeit überwindet nicht Begierden, sondern verdrängt sie lediglich ins astrale Umfeld, von wo sie jederzeit unkalkulierbar wieder ins materielle Sein eindringen können.
Eine Zen-Schülerin hat dazu einmal den Meister gefragt: Sollen wir nun wie Roboter werden? Selbst wenn wir wollten, es würde nicht funktionieren, wie die Nonnen von einst beweisen. Wir würden eine Zeit lang „widerstehen“, nur um uns um so tiefer in den Genuss zu stürzen, um schließlich mit schlechtem Gewissen und voll Reue aus dem Rausch aufzuwachen. Daher werden in der Hindu-Tradition und damit in der Tradition des (esoterischen) Buddhismus, „Begehren“ und „Anhaften“ als besondere Bindekräfte an das Rad der Wiedergeburt gesehen.
Ein Lösungsansatz: Änderung des Blickwinkels
Einen Lösungsansatz für das Dilemma des scheinbar zum endlosen Fehlen verurteilten Menschen bietet die Änderung des Blickwinkels. Die physischen Sinnesorgane unseres irdischen Körpers (im ILU-Video genial dargestellt als fast unförmige Lehmfiguren) werden über feine Fäden von unseren Emotionen gesteuert. Eingeschlossen in diesen „Lehmkörper“ ist das glühende und pulsierende Herz. Es schlägt schneller, Säfte fließen, sobald die „Marionette“ bewegt wird. Die alles entscheidende Frage ist nun: WER IST DER PUPPENSPIELER? WER zieht die Fäden? Gelingt es, unseren Fokus des Bewusstseins auf diesen „Puppenspieler“ im Hintergrund zu richten, also SELBST PUPPENSPIELER ZU WERDEN, dann sind WIR es SELBST, die entscheiden, ob und wie weit wir uns der Lust auf Torte hingeben. Die Befriedigung der Lust an der Torte ist dann mit einem Schlag frei von allem zwanghaften Tun. Es kann dann auch kein Leiden an der Befriedigung einer Lust geben. Denn bevor es einem das Herz dabei herausreißt (wie im ILU-Video) wird man vernünftiger Weise aufhören, loslassen.
Ein weiterer Aspekt: Nur weil uns der Puppenspieler bislang scheinbar zwingt, unsinnig-zehrende statt sinnig-nährende Dinge zu tun, ist er dennoch weder ein Bösewicht noch können wir auf ihn auf dem PFAD verzichten. Denn er ist es auch, der uns zum Meditieren edler Wahrheiten oder selbstlosen Lieben „zieht“. Der Punkt ist also, dass wir den „Burschen“ wohl oder übel kultivieren müssen. Die liebenden Lehmfiguren in ILU sind offensichtlich die Verkörperung liebender Seelen (symbolisiert durch die menschlichen Puppenspieler). Werden wir unser eigener Puppenspieler. HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 18.11.2023 von Heinz Knotek