Wie ein Aufschrei geht es durchs Volk. Endlich Licht und Wärme – von oben. Endlich Frühling. Fahr- und Motorräder werden wieder hervorgeholt. Die Wanderwege füllen sich. Die Biergärten machen gute Umsätze. Mit Freilufttischen. Alle haben jetzt viel vor. Etwa auch Fasten, Frühjahrsfasten hält schließlich gesund.
Diese ganze Betriebsamkeit findet sich überall, auch im Tierreich und selbst die Pflanzen bringen reihenweise junge Sprossen hervor. Wir verhalten uns äußerlich angesichts des nahenden Frühlings nicht viel anders als Pflanzen und Tiere. Doch es gibt ein darüber hinaus gehendes „wahres und allerbestes“ – nur dem Menschen mögliches – Fasten. Meister Eckehart schreibt davon in einem seiner Traktate.
Von der wahren Busse und von seligem Leben
Von Meister Eckehart (um 1260 bis 1328)
Es dünkt vielen Leuten, sie müssten große Werke in äußeren Dingen tun, wie Fasten, Barfußgehen und dergleichen mehr, was man Bußwerke nennt. Die wahre und allerbeste Buße (aber), mit der man kräftig und in hohem Maße Besserung schafft, besteht darin, dass der Mensch sich gänzlich und vollkommen abkehre von allem, was nicht völlig Gott und göttlich an ihm selbst und an allen Kreaturen ist, und sich gänzlich und vollkommen seinem lieben Gott zukehre in einer unerschütterlichen Liebe, dergestalt dass seine Andacht und sein Verlangen zu ihm groß seien…
(Quelle: Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, Traktat 16, herausgegeben und übersetzt von Josef Quint, München, 1979)
Will uns Meister Eckehart damals und heute die Lebensfreude vermiesen? Üblicher Weise öffnen sich unsere Ohren und Herzen Mahnungen zu spirituellen Weltabkehr vor allem dann bereitwillig, wenn es uns schlecht geht. Sind wir krank oder in unerfreulichen Umständen verstrickt, würden wir uns nur zu gern aus dem Staub machen, wenn es ginge. Sind wir dagegen physisch und psychisch mit Lebensfreude erfüllt, etwa zum Frühlingsbeginn dann wären wir höchst ärgerlich müssten wir plötzlich davon bewusst auf Distanz gehen.
Aber genau das ist der Nagel, der uns an das Rad der Wiedergeburt fixiert, das selektive Ergreifen und Abweisen, je nach Lust und Unlust, das Streben nach Freude und das Fliehen vor Leid. Soll man sich nun vor der Frühlingssonne verstecken und im stillen Kämmerlein in eine „Frühlingsdepression“ steigern? Auch das nagelt einen nur ans Rad. Wie alles eigenwillig ICHBEZOGENE Tun.
Zum Licht von oben außerdem das Licht von innen
Meister Eckehart hat sicher nichts gegen eine ordentliche Fastenkur zum Entschlacken des Körpers oder das genüssliche Barfußgehen auf einer sonnengewärmten Wiese. Er will uns nichts vermiesen, sondern die erdbezogenen Freuden eher um eine spirituelle Dimension erweitern. Wer sich bei seinem Frühjahrsputz oder beim ersten Nachosterspaziergang fragt – und sei es nur nebenbei – was denn da alles an einem selbst und um einen herum göttlich oder eben nicht göttlich ist, der verbindet sich allein durch das Fragen mit dem – „seinem“ – göttlichen Funken im Inneren.
Dann kann zum Licht von oben (im planetarischen Sinne) außerdem das Licht von innen (im spirituellen Sinne) dazukommen. Und diese Nägel, mit denen wir uns ans Rad genagelt haben, werden durch unsere pralle Lebensfreude womöglich nicht weiter angezogen sondern sogar etwas lockerer.
(*) Text/Bild: HEINZ KNOTEK
Zuletzt aktualisiert: 14.04.2013 von Heinz Knotek