VON ANDREAS HAGN1
Gefängniszelle.
Foto: Andrew Bardwell
Seelsorge im buddhistischen Sinne ist ja ein Paradoxon, da der Buddhismus keine Seele kennt, zumindest nicht im Sinne der beständigen Identität eines in sich inhärenten Selbst. Also haben wir versucht andere Begriffe zu finden und wir reden auch vom Betreuen und Begleiten.
Das Wort Seele beinhaltet für mich etwas nicht Greifbares und mit Worten nicht Erklärbares. Hier spannt sich eine Brücke zur buddhistischen Sichtweise des nicht Faßbaren, dem Bereich jenseits der Weisheit. Bodhidarma, der erste Zen-Patriarch in China, sagte: Der Geist beginnt dort wo die Sprache endet.
Annehmen was da kommt
Und somit deutet das Wort Seelsorge auf den Versuch hin, mehr vom „ganzen Kuchen“ zu sehen. Klar, dass wir alle immer nur ein kleines Stück vom ganzen Kuchen sehen können (der menschliche Körper hat pro Minute rund zwei Millionen Sinnesempfindungen). Aber der Versuch oder das Bemühen das Kuchenstück größer zu machen, ist mir sehr wichtig in einer Welt, die immer mehr von der Empirik und Rationalität bestimmt wird.
Was ist nun dieses Tun, dieses Sorgen? Mein Bedürfnis, mich um andere zu Sorgen, stieg in dem Maße in dem ich anfing mich um mich selbst zu kümmern. Kümmern bedeutet in diesem Zusammenhang, sich um die eigene innere Welt zu sorgen und sie zu erkunden. In stiller, aufrechter Haltung zu Sitzen und zu erforschen: „Was ist dieser Geist“. Diesem „WAS“ messe ich eine große Bedeutung bei. Nicht einem „WIE“ oder „WARUM“, nicht der Suche nach einer rationalen Erklärbarkeit, einer kognitiven Abfolge mit einem Ziel, einem Ergebnis, einem Verstehen im wissenschaftlichen Diskurs, beruhend auf den empirischen Ergebnissen jahrzehntelanger Forschung.
Sondern einfach in Stille und aufrechter Haltung sitzen und spüren, was da ist, oder in einem Bild gesprochen, welche Suppe da kocht, was wird gekocht, wer kocht – oder werde ich etwa selbst gekocht –, welche Zutaten sind in dieser Suppe und wie kommen sie hinein, wer hat diese Zutaten gebracht oder hineingeworfen und wie wurden sie verarbeitet und so fort. Sich üben im Verstehen, wie diese Suppe entsteht und sich üben im Annehmen was da kocht. Und da beginnt die besondere Übung mit Gefangenen: im Annehmen was da kommt.
Einfach in Stille sitzen und spüren was da ist. (*)
ANNEHMEN, das bezieht sich einerseits auf das Konstrukt des Justizsystems, mit allen Auswirkungen, den unfaßbaren Restriktionen denen die Gefangenen ausgesetzt sind, aber auch die Auswirkungen auf meine Person, das permanente durchsucht werden, die vielen Türen und Schlüssel, die Waffen, dieses klare Autoritätssystem der Anstalt, die Psychiater und Psychologen, oft anmutend wie Götter in Weiß…
ANNEHMEN aber andererseits auch und vor allem das, was von den Insassen kommt, und hier geht es meist nicht um das Offensichtliche, um das Gesprochene, es geht um dieses Unausgesprochene, das mit aus dem Gefängnis genommen wird. In dieses Unausgesprochene hineinzuspüren und zu bemerken, wie die eigenen Widerstände aufsteigen, oft verbunden mit großen Ängsten und tiefer Abneigung und um das Annehmen dieser Widerstände, dem nicht Ausweichen und seinen Geist und sein Herz zu öffnen für das was jenseits der eigenen Widerstände verborgen ist, dieses Juwel das hinter den Gegensatzpaaren Yin und Yang liegt, das in allen von uns schlummert, zu sehen.
Dharma Sangha Österreich
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Biberstrasse 9/2, 1010 Wien
Ein Mönch ging in einem schweren Schneesturm auf einen Berg. Plötzlich hörte er Hilferufe und er folgte ihnen. Sie führten ihn zu einem Bauern der durch den Sturm bis zum Hals im Schnee versunken war und sich nicht mehr bewegen konnte. Der Mönch grub sich neben dem Bauern ein Loch und vergrub sich ebenfalls und stand bald bis zum Hals im Schnee in Stille neben dem Bauern.
Ge-Wahr-Sein, unser größtes Geschenk, für uns und andere. (Ryuten Paul Rosenblum, mein Lehrer)
Linksunten: Buddhistische Gefangenenbegleitung (Österreich)
(*) Bild/Gestaltung: Heinz Knotek
- Andreas Hagn ist Familienvater und Unternehmer in Wien, zenbuddhistischer Laienmönch und aktives Mitglied der Dharma Sangha Österreich . ↩
Zuletzt aktualisiert: 30.04.2013 von Heinz Knotek