INVESTING IN KARMA: WHEN WANTING PROMOTES HELPING, eine Studie von Benjamin A. Converse u. a. veröffentlicht in PSYCHOLOGICAL SCIENCE, offenbart einmal mehr das immer gleiche Dilemma der so genannten „exakten Wissenschaften“. Selektive Analysen auf der Basis klischeehaft reduzierter Konzepte der Weisheitslehren alter Hochkulturen werden benutzt, um vor allem das eigene Weltbild zu bestätigen.
Karma = Handlung. Weder gut noch böse. So wie die Wellen einer Wasseroberfläche, die entstehen, wenn die Grenzschicht des Wassers von oben oder unten (wie hier) berührt wird. Oder auch Ursache und Wirkung. (*)
Lässt man die bemühten Schlussfolgerungen der „Karma-Amateure“ um Benjamin A. Converse jedoch beiseite und konzentriert sich allein auf die Studie, lassen sich dennoch interessante Einblicke in die Psyche des westlichen Denkers gewinnen: Ganz am Schluss, wenn nur noch das Hissen der weißen Fahne bleibt, im Zustand völliger Selbstübergabe an ein höheres Prinzip, dann kann selbst das aufgeblähteste Ego Mitgefühl und Selbstlosigkeit entwickeln. Das eigentliche Ergebnis der Studie: Schicksalsschläge erhalten eine völlig neue Bedeutung.
Interdependenzen von Ursachen und Wirkungen
Karma hat weder etwas mit Erbsen zählen zu tun, etwa in Aschenputtelmanier – die Guten ins Töpfchen die Schlechten ins Kröpfchen. Noch kommt Karma einer „Kontoführung“ gleich, bei der es im Spannungsfeld zwischen Soll und Haben persönliche Profite (= Vorteile) zu erzielen gilt. Das Prinzip KARMA auf ein mechanistisches Gut-Böse-Modell zu reduzieren, ist vor allem deshalb unwissenschaftlich, weil dadurch der gesamte kulturell-soziologische und philosophische Hintergrund des Konzeptes ignoriert wird. Es ist zudem auch schlicht und einfach falsch übersetzt.
Das Sanskritwort „Karma“ (कर्मन्) bedeutet einfach nur HANDLUNG. Erst im Rahmen des philosophischen und erkenntnistheoretischen Rahmens der Hindu-Lehren erhält der Begriff seine gewichtige Bedeutung. In einem wissenschaftlichen Kontext steht Karma für „Ursache und Wirkung“. Jede Handlung löst unabdingbar Wirkungen aus, die selbst Wirkungen auslösen und so weiter. Dabei ist sofort einsehbar, dass es KEINE einzelnen „Karma-Stränge“ geben kann. Einzelne Ursache-Wirkung-Komplexe überlagern sich vielmehr und beeinflussen sich gegenseitig – nach dem gleichen Prinzip von Ursache und Wirkung. Jedes Phänomen, jedes Ereignis im manifestierten Universum ist folglich das Resultat einer zuvor aktiven Ursache. Keine Ursache – keine Wirkung. Oder: Keine Wirkung ohne Ursache.
Interdependenz pur. (*)
Mit „manifestiertem Universum“ ist aber keineswegs nur die materielle Welt gemeint. Gemäß Hindu-Tradition entfaltet sich das manifestierte Universum vereinfacht formuliert auf drei Ebenen: (1) mentale , (2) astrale, (3) physische Ebene. Allerdings gibt es in dem System noch eine spirituelle Daseinsebene „oberhalb“ der Mentalebene (buddhi) und alles Physische/Materielle wird eigentlich als illusorische Reflexion der Astralebene gesehen und daher gar nicht als eigenständige Daseinsebene gezählt. Die genannte „Dreiheit“ kommt aber dem Verständnis des in dialektischem Denken gefangen Menschen des westlichen Kulturkreises entgegen und widerspricht dem Originalkonzept seinem Wesen nach nicht.
Kein Platz für karmische Kontoführung
Ursachen beeinflussen sich nicht nur (unvorhersehbar) gegenseitig. Das Ursache-Wirkung-Spiel läuft zudem gleichzeitig auf allen drei Daseinsebenen ab. Jeder Gedanke wird zunächst auf der Mentalebene wirksam, jedes Gefühl im Astralfeld und jedes Tun im physischen Dasein. Doch zugleich gibt es immer auch Einflüsse aus den beiden anderen Ebenen und zwar sowohl als Ursache als auch als Wirkung. Für eine „karmische Kontoführung“ von vermeintlich gut und böse, ist bei alledem kein Platz. Wer das ernsthaft annimmt, wird seine karmische Überraschung erleben… Nur weil man (in diesem Leben) etwa Vegetarier ist und täglich Yoga übt, kann man trotzdem sterbenskrank werden und wenn man Pech („schlechtes Karma“) hat früher sterben als der Schweinshaxen-Liebhaber mit Bluthochdruck von nebenan. Ungerecht mag das der Betroffene finden. Doch Karma ist unfehlbar gerecht.
Unglücksstelle Concordiasee. Bei einem Erdrutsch verlieren drei Menschen das Leben. Foto: Ingo Diron
Da es kein Karma-Konto geben kann, das man bei Überziehung mit guten Gedanken, schönen Gefühlen und selbstlosen Taten wieder ausgleichen könnte (auf diese Weise kann man höchstens sicherstellen, dass das Überziehen, also die „karmische Schuld“, nicht noch mehr anwächst), stellt sich die Frage, ob man überhaupt den Interdependenzen von Ursache und Wirkungen entkommen kann – und wenn ja, wie. Überhaupt sind Vorstellungen wie GUT und BÖSE dem Karma-Konzept wesensfremd. Es gibt kein gutes oder böses Karma. Ein Erdrutsch ist etwa weder gut noch böse. Er findet einfach notwendig statt, als unvermeidliche Wirkung bestimmter (in dem Fall geologischer) Ursachen. Für Menschen, die dabei Schaden nehmen, stellt der Vorgang freilich ein Unglück dar. Erst ihre individuelle, emotional-mentale Interpretation des Geschehens bindet sie aber karmisch an den wertfreien naturgesetzlichen Vorgang.
Man kann seinem Karma nicht
entkommen, sich nur darüber
emotional und mental erheben. (*)
Die Weisheitslehren – vor allem der Hindus – sind da eindeutig: Es gibt kein Entkommen auf der jeweiligen Daseinsebene. Selbst wenn im großen Fluss des Universums eine karmische Schuld einmal an Kraft einbüßen mag, kommt bestimmt ein „Bluthund des Karmas“ daher, der alles wieder aufreißt. Alte Kontrahenten werden immer Kontrahenten bleiben. Arm und reich, gut und böse, kehren mit immer wieder wechselnden Rollenspielen zurück. KARMA muss daher in einem weiteren Zeitrahmen gesehen werden, als nur die Länge eines Menschenlebens. Hier wird aus dem Karma-Gesetz ein Gesetzes-Doppel: Karma und Reinkarnation.
Ausgang Aufstieg
Entkommen aus den Fäden des Karma, so die alten indischen Weisheitslehren, kann man nur, in dem man sich über die jeweilige Daseinsebene „erhebt“, auf der man gerade sein individuelles kleines Universum Leben auf Leben entfaltet. Damit wird eine Spiralbewegung erkennbar. Die eigentliche Menschwerdung – ein Entfaltungsprozess vom mehr astral-physischen hin zum mental-spirituellen Sein. Die karmische Schuld (= karmische Ursache), die beispielsweise generiert, wer einem anderen Menschen Leiden zufügt, führt natürlich zu starken Bindungen an eben diese Person, die sehr wahrscheinlich in einem zukünftigen Dasein unbewusst danach trachten wird es dem einstigen Peiniger heimzuzahlen. Doch dadurch kommt es zunächst lediglich zum Rollentausch. Erst durch eine konzentrierte Lebenshaltung der Selbstüberwindung hin zum göttlichen Ursprung allen Seins können sich Opfer und Täter – und alle waren einmal Opfer UND Täter – über ihre karmischen Verstrickungen erheben. Nicht Abzahlen ist das Geheimnis von Karma, sondern ERHEBEN.
Linksunten: Psychological Science
(*) Text/Bild: Heinz Knotek
Zuletzt aktualisiert: 04.11.2012 von Heinz Knotek