Bücher lesen – Alle spirituellen Traditionen ermahnen den Schüler zum Studium der Schriften und zum Suchen eines erleuchteten Meisters. Ersteres soll ihn mental mit den überlieferten Lehren vertraut machen.
Wenige Werke bleiben zur Auswahl übrig. Bild: Ko-Sen
Der erleuchtete Meister schließlich führt und unterweist den Schüler auf seinem Pfad. Bücher lesen ist heutzutage kein Problem; keine geheime Schrift, die es nicht in einer günstigen Paperback-Ausgabe gibt. Und „Meister“ findet man in den Anzeigenrubriken einschlägiger Esoterikmagazine. Und doch meinten die Alten beides nicht.
Bei der Frage, ob der Sucher von heute sich in den zahllosen zur Verfügung stehenden Schriften vertiefen soll oder nicht, gehen die Meinungen weit auseinander. Die Einen meinen, das würde nur zu Intellektualismus führen und von wirklicher Praxis ablenken. Vor allem Anhänger des Zen-Buddhismus folgen dieser Ansicht, und bevorzugen stattdessen stundenlanges meditatives Starren auf leere Wände.
Einige Rosenkreuzer-Gruppen legen ihren Mitgliedern nahe, sich gänzlich dem Studium esoterischer Schriften zu enthalten, stattdessen vor allem die Werke eigener Autoren zu konsumieren. Bei den theosophischen Gruppen hingegen ist das Studium der Schriften der wirklichen oder vermeintlichen theosophischen Lehrer zentraler Punkt des spirituellen Engagements.
Im taoistischen Klassiker UNDERSTANDING REALITY von Chang Po-tuan heißt es dazu:
One should not just seek a teacher without reading texts, and one should not take the writings as one’s own understanding and fail to seek a teacher.
Ein meditatives Studium der überlieferten Schriften wird von allen altehrwürdigen Traditionen empfohlen. Wer das beachtet und die Druckerzeugnisse des esoterischen Zeitgeistes weitgehend aussortiert, für den wird die Bücherauswahl nicht zu schwer ausfallen. Denn wenige Werke bleiben zur Auswahl übrig, hat sich der Sucher erst einmal seiner inneren Stimme geöffnet, um DIE Tradition zu erfahren, die für seine gegenwärtige Position auf dem Pfad die passende ist.
Bleibt die Frage, wann und wo und wie man „seinen“ Meister findet, ohne den das Studium der Schriften zu trockenem Intellektualismus verkommen soll. (wird fortgesetzt)
Zuletzt aktualisiert: 14.02.2008 von Heinz Knotek