Rezension: Cassandra Steen (feat. Adel Tawil) – Stadt
Sänger Adel Tawil.
Foto: Torsten Crull f. Szenebilder
Das grell glitzernde Licht der 1980er Jahre verblasst nicht nur, es stirbt regelrecht weg. Seit Anfang des Jahres 2009 vergeht fast kein Tag, an dem nicht der Tod eines berühmten Künstlers vermeldet wird. Der 80er-Hype gaukelte eine Art Unsterblichkeit vor. Doch nun sterben nicht nur Pop-Musiker wie Michael Jackson, auch namhafte Firmen – sozusagen die Popstars der Wirtschaft -, die einst für Wohlstand und materielle Sicherheit standen, kippen von heut auf morgen einfach um.
Das erzeugt Angst. Und plötzlich gehen junge Leute auf Konzerte, wo schmachtende Schnulzen, wie Irgendwas bleibt1 zelebriert werden. Wohl wissend, dass es das nicht gibt und das schmachtvolle Singen davon das Vergehen eher noch bewusster macht. Doch mitten im Mainstream-
Pop taucht immer wieder ein Künstler auf, der leicht hin tiefgehende Töne anschlägt, wie man sie eher von einem Hindu-Guru erwarten würde. Die Rede ist von Adel Tawil.
Homöopathische Dosen Weisheitslehre
Bereits als Teil des Duos ICH + ICH, zusammen mit der Sängerin Annette Humpe, war Tawil aufgefallen, wie er homöopathische Dosen Weisheitslehre unter das eher süffige Gebräu netter Liedchen mischte. Wer Ohren hatte, hörte auf und wurde nachdenklich. Wer nicht, der genoss einfach die bittersüße Melancholie der Songs.
Jetzt stürmt Tawil erneut die Charts mit einem „Weisheits-Schlager,“ den er dieses Mal mit der schönen deutschen Soul-Sängerin Cassandra Steen eingespielt hat. Der Song STADT ist aber nicht ein homöopathisch mit weisen Sprüchen versetzter Schlager, wie viele der bisherigen Songs von Tawil. In STADT wird offen und ohne jede Zurückhaltung ein gesellschaftlicher Status beschrieben, von dem die Mehrheit der Hörer kaum ahnen dürfte, dass der Text nahezu WÖRTLICH die Merkmale des KALI YUGA2, des dunkeln Zeitalters, reflektiert, wie sie in den indischen Weisheitslehren beschrieben werden.
Cassandra Steen Feat. Adel Tawil – Stadt
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Nachfolgend der skizzenhafte Versuch Bezüge zum KALI YUGA anhand des Songtextes freizulegen.
Songtext: Cassandra Steen (feat. Adel Tawil) – Stadt3
(Aus dem Album: Ich Bau Ne Stadt Für Dich)
Es ist soviel so vielzuviel,
überall Reklame
soviel Brot und soviel Spiel,
das Glück hat keinen Namen
Typisch für das KALI YUGA ist das Leben im eitel oberflächlichen Schein (Brot und Spiele) und das gegenseitige Täuschen (Reklame). Glück wird allein im AUSSEN gesucht, ist daher flüchtig (ohne Namen).
Alle Strassen sind befahrn,
in den Herzen kalte Bilder
keiner kann Gedanken lesen
das Klima wird milder
Die alten Griechen nannten das KALI YUGA das EISERNE ZEITALTER (alle Straßen sind befahren – mit Metallkarossen). Kalte Bilder laufen an den Wänden und fluten die Herzen der Menschen (TV, Internet). Das dritte Auge und die feine Sinne sind fast vollkommen zurückgebildet (keiner kann Gedanken lesen). Statt die hohe Kunst der Gedankenübertragung zu praktizieren, werden SMS und EMails verschickt.
Ref:
Ich bau ne Stadt für dich
Aus Glas und Gold und Stein
Und jede Strasse die hinausführt
führt auch wieder rein
ich bau eine Stadt für dich und für mich
Der Mythos einer besonderen Stadt, in der die Menschen wieder zu ihren spirituellen Wurzeln zurückkehren, findet sich in allen religiösen Traditonen. In Zentralasien liegt dieses Ideal am Berg Kailash. Im westlichen Kulturkreis hat vor allem Johann Valentin Adreae um 1619 mit dem Werk CHRISTIANOPOLIS den Traum einer heiligen Stadt literarisch verewigt – und zugleich damit einen Grundstein für die Rosenkreuzer-Bewegung gelegt.
Keiner weiß mehr wie er aussieht
oder wie er heißt
alle sind hier auf der Flucht
die Tränen sind aus Eis
Gefühlskälte, Indifferenz und Rücksichtslosigkeit – Merkmale zwischenmenschlicher Beziehungen im KALI YUGA.
Es muss doch auch anders gehn
so geht das nicht weiter
wo find ich Halt wo find ich Schutz
der Himmel is aus Blei hierIch geb keine Antwort mehr
auf die falschen Fragen
die Zeit is rasend schnell verspielt
und das Glück muss man jagenRef:
Ich bau ne Stadt für dich
Aus Glas und Gold und Stein
Und jede Strasse die hinausführt
führt auch wieder rein
ich bau eine Stadt für dich und für mich
Dem irdischen Glück muss man im KALI YUGA mit ganzem Einsatz der Persönlichkeit nachjagen: Man muss sich bewerben, beweisen, rechtfertigen, nachgeben oder Druck ausüben. Man muss Versicherungen abschließen und einen guten Anwalt zur Hand haben. Man muss für alles mögliche vorsorgen. Die Erkenntnis, dass wahres Glück von INNEN kommt und in der inneren Stille zu finden ist, ist aus dem öffentlichen Bewusstsein weitgehend verschwunden.
Eine Stadt in der es keine Angst gibt, nur Vertraun
wo wir die Mauern aus Gier und Verächtlichkeit erbaun
wo das Licht sich schnell legt, das Wasser hängt
wo jedes Morgenrot und jeder Traum sich lohnt
und für jeden Blick durch Zeit und Raum in unsre Herzen fliegtRef:
Ich bau ne Stadt für dich
Aus Glas und Gold und Stein
Und jede Strasse die hinausführt
führt auch wieder rein
ich bau eine Stadt für dich und für mich
Gier und Verächtlichkeit sind prägende Verhaltensmuster im KALI YUGA, die es ohne jeden Rest zu transformieren gilt – in Altrusimus und Mitgefühl. Das DU und ICH lässt sich als Referenz auf die Dualität des Menschen deuten: Seele und Persönlichkeit. Ohne Persönlichkeit kann die Seele nicht wachsen. Ohne Seele ist die Persönlichkeit ein lebender Toter.
Stellt sich nun die Frage, ob Cassandra Steen und Adel Tawil diese sich aufdrängenden Assoziationen BEWUSST oder ZUFÄLLIG in den Song eingewoben haben? Eher nicht, hauptsache es ist so.
(Kô-Sen)
Zuletzt aktualisiert: 29.06.2009 von Heinz Knotek