Ein Erfahrungsbericht
Festplatten-Leiche. (*)
Todsein ist etwas bedrohlich Finales, wenn man es bewusst wahrnehmen kann. Üblicherweise bleiben Betrachtungen zum Tod abstrakt und im Konstrukt „was-wäre-wenn“ stecken, denn wer mit dem Tod selbst zu tun hat bei dem kommt auch die gewohnte physische Wahrnehmung zum Ende. Der vollkommene und überraschende Crash der Festplatte des Arbeitscomputers, an dem man täglich mehrere Stunden tätig ist, mit dem man alle Medien verwaltet und auch Musik hört, der sämtliche Stamm- und Bewegungsdaten der beruflichen und privaten Kommunikation enthält – so ein plötzlicher Totalverlust ist wie ein kleiner Tod. Man ist entsetzt, fassungslos, kann es erst nicht glauben. Das Gute dabei: Der Vorfall zeigt auch, wie weit die Identifikation des Seelenfunkens mit der Materie schon gegangen ist. Zeit für eine Umkehr.
Der taoistische Einsiedler lächelt nur
Zehntausende Fotos – weg. Tausende Mails – weg. Hunderte E-Mail-Adressen – weg. Dutzende Programme – weg. Laufende und abgeschlossene Manuskripte – weg. Nein – der vorletzte Stand des laufenden Übersetzungsprojektes zumindest, liegt auf einem USB-Stick, hier also nur ein Teilverlust. Dennoch. Das Gefühl eines schweren Verlustes kriecht ins Denken und Fühlen. Ein wenig ist es wie beim Tod zweier Angehöriger vor Jahren. Der Unterschied: In der Verzweiflung darüber, so viel an Persönlichem verloren zu haben keimt der Überlebenstrieb. Das Planen beginnt, das Telefonieren. Keine zwei Wochen später ist die Infrastruktur wiederhergestellt. Also wieder von vorn…?
Von taoistischen Einsiedlern wird berichtet, dass sie in ihren einfachen Klausen oft das eine oder andere extrem kostbare Kleinod aufbewahrten. Etwa ein tausend Jahre altes Teeservice, oder eine kostbare Schriftrolle. Hier und da sollte es passiert sein, dass vor allem einer ihrer Schüler in einer beiläufigen unbedachten Geste ein solches Kleinod zu Boden geworfen hat wo es in tausend Stücke zersprang. Der Schüler dem das passierte stand dann unter Schock etwas unbezahlbar Kostbares soeben zerstört zu haben, das er auch nicht ansatzweise jemals ersetzen könnte. Im gewöhnlichen Alltag hätte ein solcher Schüler wohl eine Tracht Prügel bezogen und wäre rausgeflogen. Doch der taoistische Einsiedler lächelt nur, wenn er überhaupt reagiert.
Supreme Soul – kann man überall erkennen, man muss nur genau hinschauen. (*)
Die Weisheitslehren aller Hochkulturen mahnen wiederholt nachdrücklich, dass der Mensch NICHT sein Körper ist. Alle Formen sind vorübergehend, flüchtig, vergänglich. So schmerzlich ein Verlust auch sein mag, früher oder später musste er kommen. Meditationen dienen unter anderem dem Zweck, die im Alltag fast unvermeidliche Identifikation mit dem physischen Selbst und allen seinen Anhaftungen zu relativieren – immer und immer aufs Neue. So wie auch die Identifikation täglich von neuem beginnt und ständig tiefer fortschreitet. Angeblich dient das ganze komplexe Leben nur dem einen Zweck, es zu schaffen, ohne astrale und materielle Anhaftung ganz im Seelenfunken zu SEIN – also in der Welt aber nicht von der Welt.
In seinem Brief ON OCCULT PHILOSOPHY der Letters that Have Helped Me schreibt der irische Mystiker und Theosoph W. Q. Judge:
You cannot develop the third eye. It is too difficult, and until you have cleared up a good deal more on philosophy it would be useless, and a useless sacrifice is a crime of folly. But here is advice given by many Adepts: every day and as often as you can, and on going to sleep and as you wake, think, think, think, on the truth that you are not body, brain, or astral man, but that you are THAT, and „THAT“ is the Supreme Soul. For by this practice you will gradually kill the false notion which lurks inside that the false is the true, and the true is the false. By persistence in this, by submitting your daily thoughts each night to the judgment of your Higher Self, you will at last gain light.
(W. Q. JUDGE: Letters That Have Helped Me, The Theosophy Company, Los Angeles 1946)
Die Lektion: Reinste Selbstlosigkeit
Vielleicht wäre der Festplattencrash zu verhindern gewesen, hätte man das alles früher bedacht? Doch warum sich sorgen? Bei so viel Unterstützung durch völlig Unbekannte, die – vielleicht – vom anderen Ende der Welt den Freischaltcode für ein Softwarepaket mailen oder mit geradezu sorgender Herzlichkeit von irgendwo her hunderte Musiktitel auf der neuen Festplatte wieder auferstehen lassen, beginnt das Entsetzen ob des persönlichen Verlustes zu weichen. Glück gehabt! Und ab jetzt – Daten sichern! Bist Du schon wieder ganz der Alte, ganz nur Festplatte… spricht die Seele leise. Die karmische Lektion des Verlustes ist NICHT etwa das bequeme Inanspruchnehmen kulanter Kundendienste diverser Firmen, das ist alles Nebensache, sondern das kurzzeitig deutlich spürbare Aufblitzen dieser einen Supreme Soul durch das vielfältig helfende Tun, völlig unpersönlich (da rein virtuell) und doch von ganzem Herzen. Reinste Selbstlosigkeit.
(*) Text/Bild: Heinz Knotek
Zuletzt aktualisiert: 12.03.2012 von Heinz Knotek