Yoga meint nachfolgend keine physische Übung, sondern prinzipielle Lebenshaltung im Geiste der Bhagavat Gita. Was ist die metaphorische Legende der Gita? Krishna kam demnach zu Beginn des Kali-yuga, dem „Dunklen Zeitalter“, als Avatar in die Welt, um den Menschen für diese schwere, lang anhaltende Epoche die heiligen Weisheitslehren zu vermitteln, niedergelegt in der Bhagavat Gita.
Leben wie im Schaufenster: Meine Leute – deine Leute, meine Ansich-
ten – deine Ansichten … undurchdringlich getrennt voneinander. (*)
Die Gita ist ein unerschöpfliches Schatzhaus subtiler und ganz handfester Ideen für alle Lebensbereiche, vor allem auch in Fragen zwischenmenschlicher Beziehungen. Gleich im ersten Vers der Gita begegnen wir dem blinden König Dhritarâshtra des Kuru-Klans, wie er seinen weisen Wagenlenker1 fragt (sinngemäß):
Sag mir, o Sañjaya, was nur hat meine Leute und die der Pândava dazu gebracht, sich hier auf dem Schlachtfeld feindselig und kampfbereit aufzustellen?
Alle anderen gelten als „die Anderen“
Der erste Vers enthält im Kern die „Philosophie“ des Alltagsmenschen. Er denkt, nur diejenigen „gehören zu ihm“, die entweder Verwandte sind oder sich als Freunde erweisen. Und als Freund gilt, wer eigene Ansichten und Werte teilt und diesen oder jenen persönlichen Vorteil bietet. Alle anderen, wie weise, erhaben und rechtschaffend sie auch sein mögen, gelten als „die Anderen“. Die Folgen: Zwist, Streit, Krieg – in den zwischenmenschlichen Beziehungen (im Kleinen) und gesellschaftlich (im Großen).
Und so kann es dann ganz schnell gehen. Soeben waren zwei Menschen noch Freund. Dann – nur ein Gedanke, ein unbedachtes Wort, eine unachtsame Geste die einen (und sei es nur auf dem ersten Blick) nicht in den Kram passt – plötzlich Missachtung, Feindseligkeit, Kampf. Unerbittlich, kompromisslos, steinhart, eiskalt. Jeder hat das schon endlose Male durchlebt, mal als „Täter“ mal als „Opfer“.
Wer diese Gefangenschaft im ewigen Dualismus DAS MEINE/DAS ANDERE erkennt und ihrer überdrüssig zu werden beginnt, wer keine Lust mehr hat, immer recht haben zu müssen, wem die ewige Fixierung auf das ICH leid wird, der hat den Yoga-Weg in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen betreten. Allerdings – möglicher Weise wird es jetzt zunächst erst einmal gerade schlimm…
Zwischenmenschliche Beziehungen allein auf der Basis von Vor- und Nachteilen führen zu Zwist, Streit und Krieg und ebnen den Weg zu einer animalisch anmutenden Hackordnung. (*)
Für „normale“ Alltagsmenschen ist es das Selbstverständlichste, die Welt allein aus der Perspektive der Dualität MEIN/ANDERE zu betrachten. Wir bemerken dabei nur nicht, dass wir uns anderen Menschen und Ideen wie ein Gebrauchtwageninteressent nähern. Wir analysieren, in wie weit das „interessante Objekt“ – eine Idee oder ein Mensch oder eben ein altes Auto – uns auf irgendeine Weise „nützlich“ sein kann. Wir stellen dann kalkulatorisch den „Preis“ gegenüber. Wenn Kalkulation und Preisfeilschen zu unseren Gunsten auszufallen scheinen, „kaufen“ wir das Objekt. Aus ANDERE wird MEIN. Damit ist die Kuh für das „Objekt“ aber noch nicht vom Eis. Noch muss es seine leichte Handhabbarkeit und Pflegleichtigkeit beweisen bevor es sich als ganz „anerkannt MEIN“ betrachten kann.
Zu anstrengend oder nutzlos
Wir reagieren also wie der blinde König Dhritarâshtra des Kuru-Clans. Wir folgen blind den Ratschlägen unsers Vorteilsstrebens. Wir fällen Urteile über andere ohne auch nur nachzufragen. Wir vollstrecken Meinungsurteile unreflektiert und wenn ANDERE durch unsere Verurteilung erkennbar leiden, haben wir wenn es schlecht kommt sogar ein gutes Gefühl der Rechtschaffenheit dabei.
Wird dieser verhängnisvolle Mechanismus aber einmal erkannt mag der Denker im Alltagsmenschen das alles nicht mehr. Nein, er will nicht mehr gegen ANDERE kämpfen. Er resigniert, lässt die Waffen sinken. Er ist nur noch müde, will ausruhen. Doch in genau diesem Moment meldet sich eine innere Stimme. Sie fordert auf GENAU hinzusehen. Sind es wirklich die ANDEREN auf dem Schlachtfeld der Meinungen und Gefühle, die da angriffslustig vermeintliche Angreifer abwehren und vernichten wollen? Da ist NIEMAND, nur wir selbst. Spätestens angesichts solcher Überlegungen des INNEREN MENSCHEN wird der ÄUSSERE MENSCH rebellisch werden. Es war doch gut, die Welt gemäß eigener Vor- und Nachteile zu vermessen. Warum plötzlich Vorteile in Frage stellen und Nachteile auf ihre Hintergründe untersuchen? Kein Ego nimmt das kampflos hin.
Tatsächlich geht JETZT der Kampf erst los. Unser menschlicher Seelenfunken (Arjuna), endlich kampfesmüde geworden, wird ausgerechnet von der spirituellen Seele (Krishna) aufgefordert sich zusammenzureißen und – in den Kampf zu ziehen. Nicht aber etwa gegen „Andere“, sondern gegen die EIGENEN Vorstellungen von MEIN/ANDERE. Glücklich der Sucher, der die eine oder andere seiner zwischenmenschlichen Beziehungen in diese neue Dimension gemeinsamen Seins hinüber retten kann. Denn manch einem wird das zu anstrengend sein, manch anderer wird darin keinen Nutzen sehen.
(*) Text/Bild: Heinz Knotek
- Heute würde man Chauffeur sagen. ↩
Zuletzt aktualisiert: 25.11.2012 von Heinz Knotek