Dem Grafen von Saint Germain zugeschrieben.
La Très Sainte Trinosophie,
Deckblatt/Cover
Diese Zeilen schreibt dir dein Freund nieder, hier in den Verließen für Kriminelle, im Kerker der Inquisition. Mögen sie dir immer als Wegweiser dienen. Wenn ich mir vergegenwärtige, welch unschätzbaren Nutzen dir dieses Dokument der Freundschaft erbringen wird, dann scheinen selbst die Schrecken einer langen und kaum verdienten Gefangenschaft zu verblassen…
Die Vorstellung bereitet mir außerordentliche Freude, dass ein Sklave – obwohl von Wächtern umringt und durch Ketten gebunden – dennoch in der Lage sein kann, seinen Freund selbst über jene Mächtigen erheben zu können, die auch die Herren dieses Verbannungsortes sind.
Mein lieber Philochale, du schickst dich gerade an, in das Heiligtum der erhabensten Wissenschaft vorzudringen. Meine Hand wird dir hiermit den Schleier heben, der jenes Tabernakel verbirgt und für das Auge des gewöhnlichen Menschen undurchdringlich ist.
Dieses Tabernakel ist ein Heiligtum, in dem der EWIGE die Geheimnisse der Natur aufbewahrt, und zwar für jene ganz Wenigen, Auserwählten, damit sie SEHEND werden, sich zu Ihm und seinem Ruhm emporschwingen mögen, um schließlich aus der Strahlenfülle, die seinen goldenen Thron umgibt, einen erhellenden Strahl auf die leidende Menschheit lenken zu können.
Sollte sich für dich das Beispiel Deines Freundes als eine heilsame Lektion erweisen, dann will ich die langen Jahre der Drangsal lobpreisen, die mich dieses Verruchten haben erleiden lassen.
Es werden sich dir fortwährend zwei gleichermaßen gefährliche Stolpersteine in den Weg legen. Der eine würde den unantastbaren Rechten des Individuums Gewalt antun; gemeint ist der Missbrauch der dir von Gott verliehenen Kräfte. Der andere würde dich unmittelbar selbst in den Ruin führen; gemeint ist ein Mangel an Verschwiegenheit…
Diese beiden wurden von derselben Mutter hervorgebracht; beide verdanken ihr Dasein der gleichen Ursache – nämlich der Neigung zum Hochmut. Genährt werden sie von den Charakterschwächen des Menschen. Sie selbst aber sind blind, ihre Mutter ist es, die sie führt und lenkt. Mit ihrer Hilfe gelingt es den beiden Ungeheuern, ihren verdorbenen Atem selbst in die Herzen jener einzuhauchen, die zu den Auserwählten des Herrn gehören.
Wehe dem, der die Geschenke des Himmels missbraucht und in den Dienst seiner Leidenschaft stellt. Die Hand des Allmächtigen, dem ja auch die Elemente untertan sind, würde ihn zerbrechen wie trockenes Stroh. Ewige Qualen wären kaum angemessen, um ein solches Verbrechen zu sühnen. Der Anblick der Tränen, die der so Gestrafte dann vergießt, würde jene infernalischen Geister, die er einst mit seiner drohenden Stimme in ihrem grimmigen Inneren hat erzittern lassen, zufrieden lächeln lassen.
Doch du, Philochale, du bist es nicht, für den ich dieses grässliche Bild entwerfe. Der wahre Freund der Menschheit wird niemals zu deren Peiniger…
Für dich, mein Sohn, fürchte ich eher einen anderen Abgrund – einen Mangel an Verschwiegenheit, das unwiderstehliche Verlangen, Aufsehen und Bewunderung zu erregen. Die Bestrafung jenes unbesonnenen Dieners, der profanen Augen einen Blick in das geheimnisvolle Heiligtum gestattet, hat Gott den Menschen selbst überlassen.
Oh Philochale, möge mein Kummer in deinem Geist immer gegenwärtig sein. Auch ich kannte glückliche Tage, an denen ich mit den Segnungen des Himmels überschüttet wurde und von Kräften umgeben war, die jenseits menschlichen Fassungsvermögens liegen. Ich war Herr über jene Wesenheiten der Natur, die diese Welt am Laufen halten. Zufrieden mit dem, was ich selbst hervorgebracht hatte, genoss ich im Schoße einer angesehenen Familie jene Glückseligkeit, die der Ewige seinen geliebten Kindern rechtmäßig zukommen lässt. Ein einziger Augenblick genügte – und alles war zerstört. Ich hatte geredet. Alles löste sich auf wie eine Wolke am Himmel. Oh mein Sohn, folge ja nicht meinen Fußstapfen… Lass ja nicht prahlerisches Begehren dich verleiten, vor deinen Mitmenschen glänzen zu wollen, damit nicht auch du dieses Unglück auf dich herabziehst…
Denke an mich, deinen Freund, der dir mit einem von der Folter geschundenen Körper aus diesen Verließen schreibt. Merke dir gut, Philochale, dass die Hand, die diese Zeilen niederschreibt, die Wundmale niederhaltender Ketten trägt. Gott hat mich gestraft.
Was habe ich nur angerichtet, dass mich die grausamen Menschen verfolgen? Welches Recht haben sie, den Diener der Ewigkeit zu verhören? Sie fragen nach Beweisen für meine Mission. Meine Zeugen sind die gewirkten Wunder. Mein Verteidiger ist mir die eigene Tugendhaftigkeit – ein sauberes Leben und ein reines Herz. Aber was rede ich. Habe ich überhaupt das Recht zu klagen? Ich habe geredet und der Herr hat mich erst aller Stärken und Kräfte beraubt, um mich dann den gierigen Hyänen des Fanatismus zu überlassen. Der Arm, der einst eine Armee niederzuwerfen vermochte, kann heute kaum die Ketten heben, die ihn niederdrücken.
Aber ich schweife ab. Ich sollte der ewigen Gerechtigkeit danken … Der rächende Gott hat Sein reumütiges Kind begnadigt. Ein ätherisches Geistwesen hat mich aufgesucht, ist durch die Mauern, die mich von der Welt trennen, in mein Verließ eingetreten. Er hat sich mir lichtstrahlend zu erkennen gegeben und die verbleibende Dauer meiner Gefangenschaft kundgetan. Keine zwei Jahre mehr und mein Leiden wird ein Ende finden. Wenn dann meine Peiniger die Zelle betreten werden, wird diese leer sein. Schon bald von den vier Elementen geläutert, werde ich rein wie ein Feuergeist wieder den glorreichen Platz einnehmen, zu welchem mich einst die Himmlische Güte erhoben hat.
Aber wie fern das noch ist. Wie lange können zwei Jahre werden, wenn diese leidend und erniedrigend zu verbringen sind? So sind meine Unterdrücker noch nicht zufrieden damit, mich der schrecklichsten Pein auszusetzen. Sie haben mir noch wirksamere, noch abstoßendere Folterqualen auferlegt. Sie haben mir einen üblen Ruf angehangen, haben meinen Namen zu einem Ausdruck des Abscheus werden lassen.
Die Menschenkinder weichen mit Entsetzen zurück, wenn sie versehentlich meinen Kerkermauern zu nahe kommen. Sie fürchten, dass aus dem schmalen Spalt, durch den nur spärlich Licht in die Zelle einzudringen vermag, tödlich giftige Dämpfe entweichen könnten. Das, oh Philochale, ist der grausamste aller Schläge, den sie mir versetzen konnten.
Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelingen wird, dir dieses Dokument zukommen zu lassen … Die Schwierigkeiten, es aus dieser Folterhölle herauszubringen, werde ich an denen messen müssen, die es bei der Niederschrift zu überwinden galt. Aller Hilfen beraubt, musste ich mir die erforderlichen Mittel notdürftig zusammenbasteln. Die Flamme meiner Laterne, einige Münzen und ein paar Reste chemischer Substanzen, die den prüfenden Blicken meiner Peiniger entgangen waren, haben jene Farben erbracht, die das Ergebnis der Freizeitbeschäftigung eines Gefangen zieren.
Trinosophie, Grafik 13 (Auszug)
Nutze und behüte gut die Weisungen deines unglücklichen Freundes! Sie sind so eindeutig, dass es gefährlich wäre, würden sie in andere Hände als die deinen fallen … Sei dir immer bewusst, dass alles nur dazu bestimmt ist, dir dienlich zu sein … eine unklare Zeile, ein fehlender Buchstabe würden genügen, dich daran zu hindern den Schleier zu heben, den der Schöpfer über das Antlitz der Sphinx gezogen hat.
Adieu, Philochale! Trauere nicht um mich. Die Gerechtigkeit des Ewigen wird noch von seiner Gnade übertroffen. Auf der ersten geheimen Versammlung wirst du deinen Freund wiedersehen. Ich grüße dich im Namen Gottes. Bald werde ich meinem Bruder den Friedenskuss geben können. ∆
Zuletzt aktualisiert: 30.08.2023 von Heinz Knotek