Aus Ten Practices, The Flower Ornament Scripture, Book Twenty-One
Anhaften ist eines der stärksten „Bindemittel“ mit dem sich der Mensch an die Materie bindet – Leben auf Leben. Das befreiende Lösungsmittel ist folgerichtig Nicht-Anhaften. Doch das sagt sich so leicht.
Alles was als schön empfunden wird zieht an – und bindet. (*)
Denn bei genauer Betrachtung ist das gesamte Denken und Fühlen auf Anhaften gerichtet. Ein schöner Schmetterling oder eine Blume etwa. Beides sehen wir nicht einfach „nur so“. Das Betrachten der bunten Schmetterlingsflügel erzeugt angenehme Gefühle. Kommt wenig später ein einfarbiger Schmetterling angeflogen, unterscheidet das Denken blitzartig – und richtet den mentalen Daumen enttäuscht nach unten: Langweilig. Nicht-Anhaften ist daher ein wichtiger Aspekt buddhistischer Praxis.
Für die Blume der Tod
Auch Blumen sind für uns nicht einfach nur schön. Sehen wir sie am Wegesrand, mag der Wunsch in uns aufsteigen, sie zu besitzen. Wir halten an, bücken uns und pflücken sie – für die Blume der Tod. Die buddhistische Praxis des Nicht-Anhaftens beginnt bei der detaillierten Analyse der tausendfachen Gedanken subtilen Anhaftens. Das erschreckt viele zunächst, denn offensichtlich ist unser gesamtes Wachbewusstsein damit angefüllt. Kritiker halten dem deshalb entgegen, der Buddhismus wäre eine Art religiöser Miessepeter. Doch der Buddhismus lehrt nicht die Freudlosigkeit. Im Gegenteil. Ist einem bewusst, dass alle Form illusorisch und vergänglich ist, kann der Gedanke der Einzigartigkeit einer Begegnung den Genuss des Erlebens eher noch steigern.
Anblick und Geruch einer Mohnblüte einfach „nur so“ anzunehmen ist nicht so leicht. (*)
Tatsächlich gäbe es die meisten gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart nicht, wenn die buddhistische Praxis des Nicht-Anhaftens im Leben anerkanntes Leitmotiv wäre. Im etwa 2.000 Jahre alten Avatamsaka-Sutra etwa wurde schon zu Vorzeiten darauf hingewiesen. Der Hinweis ist aktueller denn je.
Enlightening beings … reflect, „Sentient beings are foolisch and ignorant, without knowledge or vision, without faith or understanding, lacking in intelligent action, greedy and dishonest, covetous and grasping, revolving in the flow of birth and death – they do not seek to see the Buddha, they do not follow enlightened guides, they do not trust the Buddha; they are lost in error, mistakenly entering dangerous paths; they do not respect the Soviereign of the Ten Powers, they do not realize the benevolence of the enlightened beings. They are attached to their dwelling places, and when they hear that all things are empty, their minds are startled and frightened, and they shy away from the true teaching and abide in false teachings; they abandon the level, even path and enter perilous, difficult paths. They reject the ideas of the Buddha and pursue the ideas of demons. They are firmly and resentlessly attached to existence.“ (Quelle: THE FLOWER ORNAMENT SCRIPTURE, A Translation of The Avatamsaka Sutra, by Thomas Cleary, Boston, 1993
Weil es mit den Anhaftungen nun mal so ist, trainiert der buddhistische Schüler sein Denken und Fühlen, um Schritt für Schritt von dessen Bindung freizukommen. Tägliche Meditation und eine von „Loslassen“ geprägte Lebenshaltung in möglichst allen Lebenslagen sind die Hilfsmittel dazu. Mit der Zeit wird sich der Übende dann auch freuen, wenn er blassen Schmetterlingen begegnet. Und Schnittblumen gibt es nur noch, wenn sich wirklich keine Alternative findet…
(*) Text/Bild: Kô-Sen
Zuletzt aktualisiert: 03.01.2013 von Heinz Knotek