Der STERN galt – neben dem SPIEGEL – lange Zeit als Prototyp für großartigen investigativen Journalismus. Im Zuge der „Boulevardisierung“ der Medien ist viel von dem einstigen Glanz der klassischen Printformate verloren gegangen.
Die Höhe von Turmbauten – religiöses Machtsymbol. (*)
Mit dem Extra DIE SECHS WELTRELIGIONEN versucht der STREN, an die altehrwürdige journalistische Tradition anzuknüpfen. Bis auf eine offensichtliche Rechenschwäche ist die Dokumentation weitgehend geglückt.
Vergleich stellt per se in Frage
Religionen miteinander zu vergleichen ist ein heikles Unterfangen. Schließlich predigen vier der sechs Weltreligionen mehr oder weniger offen, sie allein wären der einzig autorisierte Weg zu Gott. Ein Vergleich der Religionssysteme kann leicht als „Beleidigung“ gesehen werden. Denn der Alleinvertretungsanspruch des Göttlichen wird durch angenommene Vergleichbarkeit per se in Frage gestellt. Um was es bei den einzelnen Glaubensbekenntnissen geht – wo, wie und durch wen sie entstanden sind – wird übersichtlich, informativ und weitgehend neutral präsentiert. Die Dokumentation erhält dadurch den Charakter eines nützlichen Kompendiums und erspart aufwendige Detailrecherchen, wenn man einmal mehr über eine der Religionen wissen möchte. Ausnahme: Buddhismus. So wird das zentrale Bodhisattva-Konzept mit keinem Wort erwähnt. Dabei ist kaum ein edleres spirituelles Motiv vorstellbar, als der finalen spirituellen Befreiung (Nirvana) zu entsagen und freiwillig zu reinkarnieren.
Religionen – Systeme mit Widersprüchen (*)
Gerade in Zeiten wo Hassprediger in vielen religiösen Lagern im Namen heiliger Schriften und Gottes gegen Andersgläubige oder andere Lebensformen hetzen, wäre außerdem ein eigener redaktioneller Schwerpunkt „religiöse Toleranz“ wünschenswert gewesen. Wenn Christen, Juden, Hindus und Moslems ihre jeweils heiligen Schriften wörtlich auslegen und ihre Religionsvertreter außerdem über weltliche Machtmittel verfügen, kann es für Andersgläubige schnell lebensbedrohlich werden. Die tolerante Friedfertigkeit von Taoismus und Buddhismus wäre dadurch klar zutage getreten. Und die wahrscheinliche Ursache: beiden Systemen ist ein anthropomorphes Gottes-Konzept fremd.
Breit gefächerte buddhistische Sangha
Wie fast alle Religionsvergleiche krankt auch das STERN-Spezial an einer offenkundigen Rechenschwäche, wenn es um die Anteile der Gläubigen an der Weltbevölkerung geht. Der Buddhismus erscheint auf der Weltkarte im Wesentlichen als lokales ostasiatisches Phänomen. Ganz Europa etwa werden schlappe 1,6 Millionen Buddhisten zugestanden. Anteilig dürften sich also etwa in Deutschland nur ein paar Tausend Buddha-Anhänger. Tatsächlich gibt es im westlichen Kulturkreis eine breit gefächerte buddhistische Sangha. Der Anteil Menschen, in deren Leben die Lehren Buddhas eine prägende Rolle spielen, ist unfraglich ein Vielfaches der genannten Zahl. Das ist offensichtlich schon deshalb so, weil vornehmlich katholische Kirchenvertreter sicher nicht grundlos immer wieder ihre Anhänger vor der zunehmend anziehenden Wirkung buddhistischen Gedankenguts warnen. Doch bei Buddhisten gibt es keine Zählungen – und keine Kirchensteuer.
(*) Text/Bild: Kô-Sen
Zuletzt aktualisiert: 31.01.2010 von Heinz Knotek