Nun schon zum zweiten Mal binnen weniger Wochen hat sich eine eigentlich für guten Journalismus, gründliche Recherchen und liberale Geisteshaltung renommierte Tageszeitung in Sachen Esoterik einer Rassismus-Phobie hingegeben.
Nicholas Roerich: Command of the Master. 1947, Tempera on canvas,
84 x 153 cm, State Museum of Oriental Art, Moscow
Platter kann man sich dem Mythos Tibet kaum nähern, wie es sich Andrian Kreye, Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, letzten Freitag geleistet hat. In Anlehnung an die bekannte deftige Milchwerbung mutet sein langer Beitrag, DIE EWIGE SUCHE NACH SHANGRI-LA, an wie, „Alles rassistisch, oder was.“
Kreye schreibt über Esoteriker. Was er dabei unter „Esoterik“ versteht, wird jedoch nicht klar. Das ist es ihm vielleicht selbst nicht. Außer, dass es rassistisch ist oder sein muss. Was – vermeintlich – gegen Rassismus opponiert, kann doch nur gut und richtig sein, selbst wenn es sachlich falsch oder halbwahr ist. Ein genialer Trick, Defizite in etwas unbestritten „Gutes“ zu verkehren. So lässt sich trefflich über Dinge schreiben, über die man nichts weiß und folglich nichts zu sagen hat. Zugleich ein guter Impfschutz gegen Kritik. Zum Beispiel sind nach Kreye alle Menschen Rassisten, die
… davon ausgehen, dass sich Lebewesen aus den Niederungen der Tierwelt über mehrere rassische Stufen bis zum vollkommenen Übermenschen entwickeln können …
Nicholas Roerich: Himalayas. 1933, Tempera on canvas, 74.5 x 118 cm, Nicholas Roerich Museum, New York
Allerdings: Von denen, die „davon ausgehen,“ dass ein immaterieller Seelenfunken sich über eine Kette von Inkarnationen evolviert und dass bestimmte Aspekte dieses Seelenfunkens in weit zurück liegenden Zeiträumen die auf der Evolutionsskala weiter unten liegenden Naturreiche – Mineralien, Pflanzen, Tiere – durchlaufen haben, denkt KEIN EINZIGER auch nur ansatzweise in „rassischen“ Kategorien. Im Gegenteil. Das Differenzieren in ICH und DU, GUT und BÖSE, RASSE A und RASSE B gilt im Kontext der Reinkarnations-Theorie als Täuschung (Maya), die es zu überwinden gilt. Mineralien-, Pflanzen- und Tierreich als Rassen zu bezeichnen, dürfte selbst Hardcore-Rechten kaum in den Sinne kommen. Kreye sehr wohl. Es stellt sich zudem die Frage: Aus welchen trüben Quellen Kreye zu schöpfen beliebt, wenn er behauptet, laut Theosophie solle der Mensch zum Übermenschen mutieren. Weder in theosophischen noch buddhistischen Schriften finden sich solche Konzepte.
Nicholas Roerich: Changthang. Northern Tibet. 1939, Tempera on canvas, 61 x 91.5 cm, State Museum of Oriental Art, Moscow
In beiden Philosophie-Systemen wird – vereinfacht dargestellt – die These vertreten, dass eine Wiedergeburt in „höheren“ Daseinsfomen als im physischen Körper eines Menschen möglich ist. Doch das ist so wenig rassistisch, wie etwa die katholische These von der Wiederauferstehung im Fleische revanchistisch wäre. Wenn Kreye dann in zwei Sätzen den Kontext von der Theosophin Blavastsky zum SS-Offizier Schäfer konstruiert, damit gut 60 Jahre komplexer Geistes- und Kulturgeschichte zum esoterischen Darmgas komprimiert, ist das ungefähr so, als würde er Finanzminister Peer Steinbrück als Nazi titulieren, weil der noch immer die Kirchensteuer eintreibt, so wie es einst Naziregierung und Kirchenchristentum einvernehmlich beschlossen hatten…
Nicholas Roerich: Most Sacred (Treasure of the Mountain). 1933, Tempera on canvas, 73.5 x 117 cm, Nicholas Roerich Museum, New York
Tibet-Konflikt: Nicht rassistisch motiviert
Zum Schluss leistet sich der Verfasser noch eine besondere Peinlichkeit, indem er China pauschal zum „rassistischen Vielvölkerstaat“ macht. Wer auch nur oberflächlich mit der ethnologischen Situation Chinas vertraut ist – und ein Feuilletonchef sollte das eigentlich sein -, weiß, dass in kaum einem anderen Vielvölkerstaat der Balanceakt zwischen individueller Freiheit und staatlicher Anpassung so weitgehend reibungsfrei verläuft, wie in China mit seinen HUNDERTEN von Völkern und Volksgruppen. Der Tibet-Konflikt ist primär ein Relikt der Wirren des Zweiten Weltkrieges. Die Besetzung Tibets war und wird von machtpolitischen und militär-strategischen Interessen geleitet. Und war bislang nicht rassistisch motiviert. (Ko-Sen)
Nicholas Roerich: Path to Tibet. 1925, Tempera on canvas mounted on cardboard, 30.5 x 40.5 cm, Nicholas Roerich Museum, New York
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Süddeutsche Zeitung: Die ewige Suche nach Shangri-La (*)
(*) Die Headline der Online-Version: Das bessere China
Zuletzt aktualisiert: 13.08.2009 von Heinz Knotek