Erläuterung zum ersten Kapitel der Trinosophie
Was bedeutet La Très Sainte Trinosophie? Nach Maria Szepes handelt es sich dabei um das philosophische und spirituelle Vermächtnis des Grafen von Saint Germain – des historischen wohl gemerkt. Erläuterungen zu religiösen Texten sind riskant, da stets das Abdriften in ein Vorgaukeln, man wäre irgendwie „wissend,“ besteht. Oder auch das Schwelgen in missionarischem Eifer.
Selbst eine glückliche Inkarnation ist für die Seele einer Gefangenschaft in einer finsteren Höhle gleich. (Bild: Kô-Sen)
Der „Erläuterer“ muss sich dem Text nähern, als ob er eine Szene auf der anderen Seite einer stark befahrenen Straße beschreiben würde. Konzentriert, doch stets weitgehend distanziert. Das erste Kapitel ist ein Brief aus dem Gefängnis.
Das reale ICH BIN wird vom
illusorischen ICH BIN – ICH verdrängt
Wenn es uns einmal richtig gut geht, geht es der Seele – je nachdem, wie weit ihre Bewusstheit entfaltet ist – richtig schlecht. Denn dann ist die Identifikation mit der körperlichen Existenz nahezu komplett. Es gibt dann keinen Zweifel an der Realität des „ICH BIN ICH.“ Das reale ICH BIN wird vom illusorischen ICH BIN – ICH verdrängt. Allerdings hält sich die seelische Pein in Grenzen. Denn sehr lange kann sich dieser aufgeblähte Zustand des ICH kaum halten. Früher oder später wird das Glück durch den Strom ewigen Wandels hinweggefegt. Und selbst wenn weder Missgeschick oder Desaster geschehen, kommt wenigstens Langeweile auf – und der Hunger nach neuer und neuer und neuer beglückender Ablenkung.
Wenn für die Persönlichkeit die Sonne scheint, hat die Seele dunkle Nacht. Um diese Tatsache geht es im Brief aus den Verließen der Inquisition, der das erste Kapitel von La Très Sainte Trinosophie bildet. Die Seele ist offenbar durch den Briefschreiber symbolisiert. Die im AUSSEN lebend Persönlichkeit ist der Empfänger, Philochale. Aus einem streng bewachten Kerker unzensierte Botschaften zu verschicken, verlangt einige Raffinesse. Immer besteht das Risiko, dass die Botschaft nicht nach draußen dringt. Oder dass sie auf dem Weg zum Empfänger manipuliert wird. Dabei ist das Schreiben selbst schon nur unter großen Mühen machbar. Woher Papier, Feder und Tinte nehmen?
Die wenigen Seiten des ersten Kapitels der Trinosophie erweisen sich als eine der schönsten literarischen Darstellungen des Dilemmas der Seele. Eingekerkert in einer festen Form, ihre Existenz verleugnet, als unsterbliches Wesen verleumdet, von einem sinnengetrieben ICH in immer neue Verstrickungen verwickelt, geschwächt und kaum zu sich selbst erwacht – das ist der Seelenzustand des durchschnittlichen Menschen.
Die eingesperrte Seele gibt sich erstaunlich gleichmütig
Doch das ist nun mal so. Im Brief gibt sich die eingesperrte Seele trotz ihrer scheinbar unerträglichen Lage erstaunlich gleichmütig. Trotz größter Zweifel, ob die viele Mühe überhaupt Sinn macht, verschafft sie sich Schreibzeug und Papier, um ihrem „Freund“ draußen gute Ratschläge zu geben. Eine bemerkenswerte Metapher – denjenigen, der die Einkerkerung mit zu verantworten hat, als FREUND zu betrachten. Doch offenbar ist der FREUND, trotz seines Seins im Außen, empfänglich für die „Briefe der Seele.“ Ein Wieder-Zusammensein wird sogar als greifbar nahe beschrieben. Was natürlich vor allem die eingesperrte Seele freut.
Schriftbeispiele zu Kapitel 1
Dass es sich bei dem Freund draußen vermutlich sogar um einen SUCHER AUF DEM PFAD handelt, lässt sich aus den eindringlichen Warnungen vor dem Missbrauch okkulter Fähigkeiten und der Verletzung des Verschwiegenheits-Gebotes schließen. Philochales subtile Sinne sind offenbar bereits zu einem gewissen Grad erwacht. Und aus weltlicher Sicht hätte er gute Gründe, seine Errungenschaften der Welt stolz zur Schau zu stellen. Eine tödliche Gefahr. Wer ihr erliegt, verliert alle Errungenschaften, wird weit zurück geworfen auf dem Pfad.
Die „Briefe der Seele“ können nicht auf gewöhnliche Weise zum Empfänger gelangen. Doch wenn sie kommen, sind sie von größter Wichtigkeit für den Sucher. Doch wie werden die Briefe nun konkret verschickt? Wer nichts erwartet – kann nichts empfangen. In den Weisheitslehren heißt es daher, dass der Sucher zunächst innerlich still und leer werden muss. Vor allem in den Stunden vor dem Einschlafen. (Kô-Sen)
Linksunten:
Trinosophie – Erstes Kapitel (Einleitender Brief)
Zuletzt aktualisiert: 22.05.2009 von Heinz Knotek