Serie: Gewalt in religiösen Schriften – Hinweis auf GEWALTIGE Aufgabe
Arjuna hat keinen Bock auf Krieg. Verzagt sitzt er in seinem Streitwagen. Der Kutscher vorn – Gott Krishna – redet auf ihn ein. Die vier angespannten Pferde scharren mit den Hufen. Auf der anderen Seite formieren sich die Feinde. Feinde? Es sind durchweg nahe Verwandte von Arjuna. Und nun soll er gegen sie kämpfen – bis zur Vernichtung.
Arjuna und Krishna vor der großen Schlacht der Bhagavat Gita.
Bild: Kô-Sen1
Die eigenen Verwandten ermorden? Das war und ist so recht nach dem Geschmack moralisierender Atheisten und Funktionäre des Kirchenchristentums, um die Geschichte der BHAGAVAT GITA aus dem altehrwürdigen Epos Mahabharata als heidnisch abergläubische Barbarei abtun zu können. Doch religiöse Schriften sind ALLEGORIEN2. Also haben auch Gewaltszenen eine allegorische Bedeutung. Meist geht es dabei um die GEWALTIGE AUFGABE der Selbstüberwindung.
Arjuna – individuelle Seele
Die Bhagavat Gita ist eine Art Manual zur Selbst=Überwindung in der Tradition des Hinduismus3. Es geht um die gewaltige Aufgabe der Überwindung des persönlichen Egos in 18 Schritten. Der erste Schritt ist dabei der schwierigste. Arjuna soll einen Vernichtungskrieg gegen Vertrautes und Verwandtes führen. Das macht ihm Angst und lässt ihn zögern. Was steckt hinter der vermeintlich kriegerischen Allegorie?
Krishna zeigt sich Arjuna als
universeller Herrscher in Raum
und Zeit. Grafik: gemeinfrei
Der dem göttlichen Auge Indras entsprungene Arjuna4 wurde gemeinsam mit seinen vier Brüdern, den Pândavas, durch seine Cousins, die Kauravas, am Hofe von deren Vater, Dhritarâshtra, großgezogen. Obwohl Dhritarâshtra durch Blindheit für den Thron nicht qualifiziert ist, hält er ihn besetzt. Da es dem König nicht gelingt, zwischen seinen Söhnen und deren Cousins die Balance zu halten, kommt es zwischen beiden Gruppen zu Feindseligkeiten.
Durch Trickserei werden die Pândavas erst für 12 lange Jahre ins Exil getrieben, dann verschwinden sie für weitere 13 Jahre von der Bildfläche. Der den Pândavas eigentlich wohl gesonnene König ist zu schwach, um den hinterhältigen Intrigen seines Sohnes Duryodhana entgegenzuwirken und die Rechte der Pândavas wiederherzustellen. Schließlich stehen sich beide Gruppen auf dem Feld von Kurukshetra kriegerisch gegenüber. Hüben Arjuna mit Krishna als Wagenlenker; drüben der blinde König Dhritarâshtra mit dem weisen Berater Sanjaya als dessen Wagenlenker.
Beteiligte Personen und Bedeutung der Wagenlenker
Arjuna und Krishna sind nicht nur unzertrennliche Freude, sie symbolisieren auch Nara und Nârâyana, die menschliche Seele und die GÖTTLICHE SEELE, jîva und Âtman.
Im 16. Kapitel weist Krishna auf die beiden grundlegenden Kraftströme im manifestierten Universum hin: Daivi (= hell) und Asurik (=dunkel). Arjunas Brüder und die feindlichen Kauravas symbolisieren diese widerstrebenden Kräfte. Die Daivi und Asurik sind Cousins. Die symbolisierten Kräfte entstammen ein und derselben GÖTTLICHEN QUELLE und haben am Ende zu ihr zurückzukehren. Für einen ultimativen Dualismus, wie der von Kirchenfürsten erfundene Teufel als Widersacher Gottes, ist kein Platz.
Krishna repräsentiert GÖTTLICHE SEELE
Krishna repräsentiert die GÖTTLICHE SEELE, die der individuellen Seele – Arjuna – lebenspendende Weisheit vermittelt. Der Streitwagen, das Fahrzeug, in dem sich die individuelle Seele aufhält, ist Symbol für die verkörperte Persönlichkeit. Allerdings auf hohem spirituellem Niveau, denn niemand Geringeres als Krisha, das GÖTTLICHE SELBST, hat als Wagenlenker die Zügel in die Hand genommen.
Hinduism’s Bhagavad Gita message5
Gegenüber harrt der blinde Dhritarâshtra der Dinge die da kommen. Dhritarâshtra steht für das Ego der niederen und vorübergehenden Persönlichkeit, die nur auf ihre fleischlichen Sinne vertrauen kann, also in Wirklichkeit blind ist. Zusätzlich ist sie geblendet von Egoismus und Vernarrtheit in weltliche Vorteile. Daher auch die unrechtmäßige Aneignung des Throns. Zwar nennt sich Dhritarâshtra König, tatsächlich ist seine Macht eher nominal und liegt tatsächlich bei den Asuriks. Genau so inszeniert sich die Persönlichkeit stolz als mächtiges cooles Ego, obwohl in Wirklichkeit die Begierden und Leidenschaften das Sagen haben und die wirklichen Herrscher über das körperliche Dasein sind.
Das Mind ist dual
Auguste Rodin: „Der Denker“
Grafik: gemeinfrei
Sanjaya, der Wagenlenker und Ratgeber des blinden Königs, ist das Bindeglied zwischen dem niederen und höheren Aspekt des Mind6. Das Mind ist gemäß Hindu-Philosophie dual, rein und unrein. Die unreine Komponente verbindet sich mit den Begierden; die reine hat mit den Vorlieben und Abneigungen der Persönlichkeit NICHTS zu tun.
Dhritarâshtra steht für das unreine Mind, das Ego der Persönlichkeit, das von Begierden kontrolliert wird. Demgegenüber repräsentiert Arjuna das reine Mind, die individuelle Seele. Sanjaya fungiert als Vermittler zwischen beiden. Er symbolisiert das Gewissen, das die Absichten höherer Kräfte (Arjuna, Krishna) erfasst und versucht, mit diesem inneren Wissen der Seele der dunklen Unwissenheit der ichzentrierten Persönlichkeit entgegenzuwirken.
Die Schlacht der Bhagavat Gita symbolisiert also den subtilen Kampf widerstrebender Kräfte im Menschen; den Kampf zwischen der anmaßenden Vorherrschaft der vergänglichen Persönlichkeit und der ins Exil getriebenen GÖTTLICHEN SEELE. (wird fortgesetzt)
- Wandbild, gefunden im indisches Restaurant TAJ MAHAL, Domstadt Merseburg, Sachsen-Anhalt. ↩
- Religiöse Schriften WÖRTLICH nehmen deutet entweder darauf hin, dass die Schriften bewusst instrumentalisert werden; oder dass es sich nicht um wirklich religiöse Themen handelt. ↩
- Hinduismus: Sammelbegriff für ein komplexes religiöses und philosophisches Denksystem auf dem indischen Subkontinent. ↩
- Die allegorische Nähe zur unbefleckten Empfängnis ist kein Zufall. ↩
- Die Tradition des Hinduismus ist im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zu einer anthropomorphen Auslegung des Gottes-Begriffs übergegangen; ein Grund für das Wirken des Reformers Buddha Shakyamuni, ca. 600 v. u. Z. ↩
- Mind: Nicht zufriedenstellend übersetzbar, da es keinen adäquaten Begriff im Deutschen gibt. Am nächsten kommt die Wiedergabe als DENKPRINZIP. ↩
Zuletzt aktualisiert: 11.06.2009 von Heinz Knotek