In der GEHEIMLEHRE ist davon die Rede, dass sich das entwickelnde Ego auf seinem aufsteigenden Pfad durch alle subjektiven Erfahrungen hindurchbeißen muss, um schließlich von der großen Illusion separater Existenz frei zu werden.
Was ist das wahre ICH? Bild: Ko-Sen
Konkret heißt das: Die subjektiven Erfahrungen auf den einzelnen Wahrnehmungsebenen sind solange zu durchlaufen, bis sich ihre Anziehungskraft erschöpft hat. Erst wenn dem Ego zum Beispiel Sinnengenuss, Besitzgier oder Machstreben nicht mehr „attraktiv“ erscheinen, lösen sich die Bindungen zu ihnen. Doch in einem Alltag, der die volle Kapazität der Sinne in Anspruch nimmt, in dem wir komplett von unseren persönlichen Vorstellungen absorbiert werden und uns tausend Nabelschnüre in lebendige Beziehung zu einer vermeintlich realen Welt bringen, scheint eine Überwindung der Bindungen schier unmöglich. Statt dessen hat es den Eindruck, immer neue Hindernisse und Bindungen würden sich dem Sucher unüberwindlich aufdrängen.
Schlafende Hunde besser ruhen lassen
Dass es sich bei dem Phänomen um ein unumgängliches Naturgesetz handelt, wird in dem inspirierten Artikel „Chelas und Laienchelas“ von H. P. Blavatsky (Theosophist, Juli 1883) deutlich. Dabei ist jeder automatisch ein Laienchela, der sich nicht nur intellektuell mit den Weisheitslehren „beschäftigt“ sondern mental und emotional damit verbunden wähnt.
… Kein Mensch kennt seine moralische Kraft, solange sie nicht auf die Probe gestellt wird. Tausende gehen sehr achtbar durchs Leben, weil sie nie unter Druck gestellt worden sind … Wer aber den Versuch zu unternehmen wagt, ein Chela zu werden, erweckt eben dadurch jede schlummernde Leidenschaft seiner Tiernatur und peitscht sie bis zur Verzweiflung an. Denn das ist der Beginn eines Kampfes um die Vorherrschaft, in dem es keine Schonung gibt. Ein für allemal heißt es ab jetzt „Sein oder Nichtsein.“ Zu siegen bedeutet Adeptschaft, zu versagen den Absturz in ein unrühmliches Martyrertum. Denn der Lust, dem Stolz, der Gier, Eitelkeit, Selbstsucht und Feigheit oder irgendeiner anderen niederen Neigung zum Opfer zu fallen, ist in der Tat unrühmlich. Der Chela wird aber nicht nur mit den bisher latent verborgenen üblen Neigungen seines Wesens konfrontiert, sondern auch mit der Gesamtsumme jener üblen Kräfte, die von der Gemeinschaft oder Nation der er angehört angesammelt wurden …
Solange er sich zufrieden gibt, neben den anderen dahinzugehen und so ziemlich konform mit ihnen zu sein – vielleicht nur ein wenig besser oder schlechter als der Durchschnitt – wird ihm niemand Beachtung schenken. Aber sobald die Leute vermuten, dass er auch nur ansatzweise den hohlen Schein des gesellschaftlichen Lebens, mit all seiner Heuchelei, Selbstsucht, Sinnlichkeit, Begehrlichkeit und den anderen schlechten Seiten, durchschaut, und dass er ernsthaft die Absicht hat, sich auf eine höhere Stufe zu erheben, werden sie beginnen, ihn leidenschaftlich zu hassen. Alle schlechten, bigotten und böswilligen Naturen in seinem Umfeld senden ihm fortan einen Strom widerstrebender Willenskraft entgegen.
Ist er innerlich stark genug, geht er durch diese Gegenkräfte hindurch, wie ein kraftvoller Schwimmer sich durch eine Strömung kämpft, die einen Schwächeren davontragen würde. Aber wenn auch nur ein einziger Makel im Wesen des Cheals übersehen wurde, soll und wird er – ob er will oder nicht – in diesem moralischen Kampf JETZT ans Licht gebracht werden …
Die gesellschaftlichen Sitten und Normen, welche die Menschen bis zu einem gewissen Grad im Zaum halten, werden Schicht um Schicht aufgehoben, bis das innerste Wesen des Chelas ungeschminkt und nackt zum Vorschein kommt. Der Chela lebt nun in einer Atmosphäre der Täuschung – Maya. Das Laster setzt sein verlockendstes Gesicht auf, die versuchenden Leidenschaften locken den unerfahrenen Aspiranten in die Tiefen psychischer Erniedrigung … Es ist ein Kampf zwischen dem Willen des Chelas und seiner fleischlichen Natur. Und Karma verbietet es jeglichem Engel oder Guru sich einzumischen ehe das Ergebnis feststeht. (*)
Dem Artikel wird im Original denn auch der warnende Hinweis vorangestellt, dass Möchtegern-Chelas sich nicht zu früh und überstürzt mit den Weisheitslehren einlassen sollten, nach dem Motto: Schlafende Hunde besser ruhen lassen. Ko-Sen
(*) Übertragung aus dem Englischen: Redaktion TRINOSOPHIE-BLOG. Eine deutsche Übersetzung das nahzu vollständigen Artikels findet sich in DIE MAHATMA BRIEFE (Band 3), herausgegeben von Norbert Lauppert.
Linksunten:
Originalartikel: CHELAS AND LAY CHELAS
Zuletzt aktualisiert: 28.09.2008 von Heinz Knotek