Michael Maier, aus „Symbola
aureae mensae“, 1617
(Reprint, privat)
In Berichten über den Buddhismus oder Taoismus Asiens ist regelmäßig von „betenden Mönchen“ die Rede. Stillschweigend wird damit suggeriert, dass im Buddhismus und Taoismus ein Ritual praktiziert wird, das dem im Christentum üblichen BETEN entspricht. Doch das ist schlicht irreführend und FALSCH.
Zunächst ist zu klären: Was ist ein Gebet? Üblicherweise eine Art BITTEN oder gar FLEHEN. Adressat ist meistens der anthropomorphe Gott. Gegenstand ist in der Regel ein Wunsch um eine Vergünstigung der betenden Persönlichkeit. Der Wunsch bezieht sich einmal auf das eigene Wohlergehen oder das einer Gruppe, der der Betende angehört oder die aus irgendeinem Grund dessen PERSÖNLICHES Wohlwollen besitzt. Wenn der Betende Wirkungen seines Betens zu erkennen meint, wähnt er sich von GOTT erhört.
Dabei ist die Annahme, das Gebet eines Menschen könnte GOTT, den Allmächtigen und Weisen, in seinem Handeln beeinflussen, streng genommen eine Gotteslästerung. Würde es nämlich so sein, dass ER jemandem etwa eine Plage NUR deshalb vom Hals hält, weil dieser selbst oder ein anderer darum GEBETET hätte, wäre er LAUNISCH, EITEL, GRAUSAM, WILLKÜRLICH – ja im weitesten Sinne korrupt. Nichts von Allmächtigkeit und Weisheit.
Niederwerfung – „lediglich“ Geste tiefster Verehrung
Dem Buddhismus und Taoismus sind solche Motive und Handlungen fremd. Einen anthropomorphen Gott konnte man in Tausenden von Jahren nirgends erkennen. Also braucht es auch keine Huldigungen. Sehr wohl wird versucht, lokale Gottheiten, das sind die unsichtbaren Naturkräfte, Devas, die über die Elemente Feuer, Wasser, Holz und Metall herrschen, wohlwollend zu stimmen. Dazu werden Früchte, frisches Wasser und Räucherwerk an festgelegten Orten dargebracht.
Buddha hingegen, vor dessen symbolischer Darstellung sich Buddhisten dreimal niederwerfen, wird mit dem Ritual nicht etwa ANGEBETET. Das Anbeten einer Form würden Buddhisten als peinlichen Rückschritt auf ihrem spirituellen Pfad empfinden. Die Niederwerfung ist „lediglich“ eine Geste tiefster innigster Verehrung.
Bei den Taoisten ist es ähnlich. Die Niederwerfung oder Verbeugung vor einer Statue des Laotse ist Ausdruck von Dank und Verehrung. Kein Mensch würde auch nur auf den Gedanken kommen, die PERSON LAOTSE um ein persönliches Anliegen zu bitten. Da man das Naturgesetz von KARMA und REINKARNATION kennt und so gut wie möglich beachtet, gibt es auch keinen Grund, um ein Eingreifen höherer Mächte in das eigene Karma zu betteln. Wohl wissend, dass man seinem Karma ohnehin NICHT entgehen kann. Bestenfalls sich darüber erheben, durch aufrichtige und ausdauernde Praxis.
Natürlich gibt es das auch in China, dass eine Mutter sich „nach oben“ wendet, um den Himmel für das Wohlergehen ihres Kindes gnädig zu stimmen. Verbreitet ist vor allem ein volkstümlicher Ahnenkult. Solche Rituale sind überlieferte Tradition. Es ist definitiv NICHT essentieller Bestandteil buddhistischer oder taoistischer Praxis.
Was ist mit den buddhistischen Sutras, die buddhistische Mönche und Laien rezitieren? Auch das sind keine Gebete im christlichen Sinne. Aus technischer Sicht ist es eine Selbst-Magnetisierung mit dem im Sutra behandelten Gedankengut. Es hilft außerdem, das unruhige Mind zu stoppen und für die Meditation „warm“ zu machen. Im Alltag kann man mit Hilfe einer Sequenz aus einem Sutra seine Konzentration fördern. Der Text hilft aber auch, das eigene Wesen zu einem von Mitgefühl und Selbstübergabe geprägten Vehikel zu machen.
Zur Veranschaulichung diene folgender Auszug aus dem Avatamsaka-Sutra:
Speaking gently, with no roughness or harshness,
Always speaking appropriately to the situation, without fear,
Comprehending the meaning of the teaching and acting in accord,
Leaving ignorance and delusion behind, the mind unmoving:
This ist he practice of beginning study for enlightenment;
Those who can do theses things are true children of the Buddha.
(Kapitel The Ten Abodes)
Kein Flehen oder Betteln, kein devotes Zittern vor einem allmächtigen Gott. Vielmehr altruistisches Selbstbewusstsein. Disziplinierte Selbstübergabe. Achtung anderer Lebewesen. Wem es gelingt, sein Alltags-Mind auf solche „Gebete“ auszurichten, wird vermutlich DEM näher sein, was anderswo als GOTT bezeichnet wird.
Zuletzt aktualisiert: 16.05.2008 von Heinz Knotek